Innovationen: Geistesblitze aus der Crowd
Im Rennen um Innovationen haben Unternehmen eine neue Quelle für Ideen gefunden. Sie nutzen Kunden oder Fans, um Ideen zu entwickeln und Produkte zu gestalten. ITespresso erklärt, was hinter den Innovationen aus der Crowd steckt.
Ist es vorstellbar, dass ein Süßwarenfabrikant innovativer ist als die erfolgreichsten Unternehmen der Hightech-Branche? Die Gummibärchen-Firma Haribo hat es zumindest versucht. Und ihre Sache ziemlich gut gemacht. Gemeint ist die Haribo “Goldbären Fan-Edition”, gefüllt mit Gummibären der Geschmacksrichtungen Kirsche, Grapefruit, Melone, Waldmeister, Aprikose und Heidelbeere. Unbestrittenes Highlight des Produkts aber sind die in Süßwarenkreisen seit Jahrzehnten herbeigesehnten blauen Gummibärchen.
Die leckere Mischung geht wesentlich auf die Mitarbeit von Kunden und Fans des Unternehmens zurück. In der IT-Branche würde man von Endanwendern sprechen. Haribo hatte bei der Entwicklung der Fan-Edition auf die Mitarbeit von 1000 Teilnehmern gesetzt. Diese hatten in einem mehrstufigen Auswahlverfahren am Ende die Gummibärchen in den Geschmacksrichtungen gewählt, die dann in der Fan-Edition landeten.
Innovationen aus der Crowd
Innovativ ist bei Haribo also nicht nur das Produkt, sondern vor allem der Prozess, durch den es zustande kam. Die Fachbegriffe hierfür lauten Open Innovation, oder Crowd Innovation. Sie stehen inzwischen für einen mächtigen Trend bei Unternehmen.
Die Rezeptur für erfolgreiche Crowd-Innovation ist deutlich einfacher als die Rezeptur der Gummibären. Die Zutaten: Das Internet mit seinen Möglichkeiten, schnell oder sogar in Echtzeit zu kommunizieren, eine Cloud, in der Daten für alle zugänglich gespeichert werden können, und ein soziales Netzwerk, in dem sich Mitarbeiter oder Teilnehmer in einem virtuellen Raum treffen und nach bestimmten Spielregeln kommunizieren.
Kunden-Feedback auf Facebook
Wahrscheinlich waren es die sozialen Netzwerke wie Facebook, die Manager erst auf die Idee gebracht haben. Seit Jahren schwärmen Social-Media-Manager davon, dass sie auf Facebook oder Twitter direktes Feedback von Kunden bekommen und dieses manchmal sogar in die Entwicklung neuer Produkte einfließen lassen. Was liegt also näher, als die Kunden oder Fans gleich ganz für die Entwicklung von Ideen und die Gestaltung neuer Produkte einzuspannen. So wird das Kundenforum zum Ideenlabor und der Kunde zum Chef-Entwickler.
Für den Trend beginnen sich immer mehr Unternehmen zu interessieren. Eine Reihe von Dienstleistern bietet spezielle Crowd-Plattformen an, mit deren Hilfe Unternehmen die kreative Produktenwicklung gemeinsam mit externen Teilnehmern steuern können. Das eingangs erwähnte Haribo-Projekt wurde beispielsweise von Innosabi betreut, einem Anbieter von Crowdsourcing und so genannter Open Innovation Software mit Firmensitz in München.
Warum Innovationen wichtig sind
Der Begriff “Innovation” ist in der Diskussion über den Hightech-Standort Deutschland so allgegenwärtig, dass er schon ziemlich abgenutzt wirkt. Viele betrachten den Begriff inzwischen als leeres Schlagwort. Trotzdem hat die Innovation eine enorme Bedeutung.
Nur mit Innovationen können Unternehmen im Wettbewerb mithalten. Ohne diese fällt ein Unternehmen früher oder später zurück. Gute Ideen und neue Produkte kurbeln den Umsatz an und verbessern das Image, was sich wiederum positiv auf den Verkauf auswirkt. Zudem helfen Innovationen, das Geschäftsmodell weiterzuentwickeln oder sogar ein neues Geschäftsmodell aufzubauen. Eine Menge guter Gründe also, sich um Innovationen zu kümmern.
Inkrementell oder disruptiv?
Die Wissenschaft interessiert sich schon seit langem für das Thema. Ein prominentes Beispiel ist der Betriebswirtschaftler Thomas Peisl. Der Professor mit Lehrstuhl an der Hochschule München (Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensführung) stellte seine Einsichten kürzlich bei einer Konferenz der Deutsch-Finnischen Handelskammer vor.
Experten wie Peisl unterscheiden grundsätzlich zwischen inkrementellen und disruptiven Ideen. Bei der ersten Variante geht es um Innovationen, die ein vorhandenes Produkt oder eine Dienstleistung kontinuierlich verbessern. Ein Beispiel aus der Automobilindustrie wäre der aktuelle Golf, Ergebnis einer kontinuierlichen Verbesserung eines Autos, das schon sehr lange auf dem Markt ist.
Ein Beispiel für eine disruptive Innovation wären die Elektroautos von Tesla Motors. Sie verändern den Markt grundlegend.
In der Hightechbranche ist sicherlich Apples iPhone das bekannteste Beispiel für eine disruptive Innovation. Das iPhone hat den Handy-Markt gründlich umgekrempelt. Vom tastengesteuerten Handy mit gelegentlich genutztem Internetanschluss zum touchgesteuertern Smartphone, das ständig online ist.
Von der Crowd-gesteuerten Innovation erhoffen sich die Experten eine Reihe von Vorteilen. So könnten die Kosten für die Entwicklung neuer Ideen sinken, weil diese ja nicht in jahrelanger Arbeit im Labor entstehen, sondern aus der Crowd kommen.
Auch die Innovationszyklen könnten sich beschleunigen. Man muss nicht lange herumprobieren, was gefällt oder nicht gefällt, sondern überlässt von vornherein den Kunden die Entscheidung. Hinzu kommt, dass Kunden, die bei der Entwicklung eines Produkts beteiligt sind, bereits eine breite Datenspur über ihre Vorlieben und ihr Konsumverhalten hinterlassen. Big Data lässt grüßen.
Garantiert keine Flops?
Der wichtigste Vorteil: Bei Produkten, die von Kunden oder Fans eines Unternehmens mitgestaltet wurden, sinkt das Risiko, dass diese ein Flop werden. Schließlich bekommt der Kunde dann genau die Dienstleistung oder das Produkt, was er sich gewünscht hat.
So zumindest ist das in der Theorie. Damit das auch in der Praxis klappt, genügt es nicht, möglichst viele Teilnehmer für ein Innovationsprojekt zu sammeln. Experten empfehlen vielmehr, die Crowd zu strukturieren und die Teilnehmer nach definierten Kriterien auszusuchen. Die Arbeit muss in bestimmte Phasen, die Crowd möglicherweise in Gruppen unterteilt werden. Nur dann läuft der Innovations-Prozess zielorientiert und produktiv.
Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Input der Teilnehmer, beispielsweise ihre Bewertungen bestimmter Designvorschläge, am Ende einen riesigen Berg an Daten produzieren, der die verantwortlichen Produktentscheider im Unternehmen dann völlig überfordert. Dann wird Big Data zum Alptraum für die Manager.
Außerdem kann man so ein Projekt vielleicht auf Facebook starten. Es empfiehlt sich aber, eine eigene Plattform einzurichten, mit die Entscheidungsprozesse der Teilnehmer gesteuert und organisiert wird.
Inzwischen gibt es eine Reihe von Dienstleistern, die genau solche Plattformen anbieten, darunter das bereits erwähnte Unternehmen Innosabi oder auch das Innovationskraftwerk des Berliner Anbieters Innofocus Businessconsulting. Das Innovationskraftwerk will sogar Ideen für “wissenschaftliche und gesellschaftspolitische Fragestellungen” behandelt wissen.
Gute Ideen und geistiges Eigentum
Ein Punkt, den man beim fröhlichen Crowdsourcen nicht übersehen sollte, ist der des intellektuellen Eigentums. Menschen, die gute Ideen haben, sehen es ungern, dass ein Unternehmen damit viel Geld verdient, während sie selbst mit Trostpreisen abgespeist werden.
Doch die Entwicklung zur Innovation aus der Crowd ist nicht mehr zu stoppen. Auf seiner Webseite präsentiert Innosabi eine Reihe von Erfolgsgeschichten. Neben den erwähnten Gummibärchen, sind auch komplexere Projekte darunter, beispielsweise das Ideenlabor der Postbank, in dem Teilnehmer ihr Vorschläge für die Zukunft des Banking einbringen können oder ein Medizinprojekt. Andere Beispiele sind eher trivialer Natur, etwa ein neuer Joghurt von Lidl oder ein Balea-Duschgel, dass es inzwischen im Drogeriemarkt dm zu kaufen gibt.
Die Beispiele legen den Verdacht nahe, dass komplexe IT-Lösungen mit dem Crowd-Ansatz schwer zu realisieren sind. Sie zeigen aber auch, dass der Trend zur Innovation mithilfe von externen Teilnehmern oder Kunden zumindest ein vielversprechender Ansatz ist. Selbst wenn am Ende nur eine neue Sorte Gummibären in der Tüte landet.