Interview: So funktioniert Crowdworking
Immer mehr Menschen arbeiten als Crowdworker. Doch nicht immer sind die Arbeitsbedingungen optimal, Gewerkschaften und Datenschützer sehen das neue Beschäftigungsmodell skeptisch. Anbieter wie Testbirds versuchen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. ITespresso sprach mit Philipp Benkler, Gründer und Geschäftsführer des Dienstleisters Testbirds.
Das Münchner Unternehmen Testbirds hat gerade einen Code of Conduct für faire Arbeitsverhältnisse beim Crowdworking vorgestellt. Im ITespresso-Interview stellt Gründer und Geschäftsführer Philipp Benkler das Konzept von Testbirds vor und erklärt, welche Vorteile Crowdworking hat. Das Interview wurde per E-Mail geführt.
ITespresso: Welche Erfahrung haben Sie mit Crowdworking gemacht?
Benkler: Wir von Testbirds testen Software wie Apps, Webseiten, Games oder auch Wearables und andere intelligente Gegenstände mit Hilfe der Schwarmintelligenz der Internetgemeinde auf Benutzerfreundlichkeit und Funktionalität. Das Ganze nennt sich Crowdtesting – in Anlehnung an den Begriff Crowdsourcing. Gegründet haben wir Testbirds Ende 2011. Inzwischen besteht das Team aus über 60 Mitarbeitern, die überwiegend in den Bereichen Sales, Projektmanagement, IT und Marketing tätig sind.
Auf unserer Plattform selbst sind mittlerweile weltweit über 100.000 Personen registriert, die für uns bzw. unsere Kunden Software testen. Unsere Tester werden dafür natürlich entlohnt und sind somit sogenannte Crowdworker, die für uns auf freiwilliger Basis und mehr oder weniger regelmäßig arbeiten. Wir blicken inzwischen auf fast vier Jahre Erfahrung in der Beschäftigung von Crowdworkern für das Testen von Software zurück. Wir haben über 400 internationale Kunden und mehr als 1000 Projekte gemeinsam mit unserer Crowd umgesetzt. Wichtig ist uns dabei ein persönliches und respektvolles Verhältnis zueinander. Wir kommunizieren offen und ehrlich und es ist uns wichtig, dass wir für Rückfragen oder Probleme aus der Crowd stets ein offenes Ohr haben.
Wir haben zu unserer Tester-Community trotz der stetig wachsenden Größe einen engen Draht und können sagen, dass wir sowohl in Bezug auf die Qualität der Arbeit unserer Tester als auch im Umgang miteinander eine positive Bilanz ziehen können.
ITespresso: Aus welchen Ländern kommen Ihre Crowdworker hauptsächlich?
Benkler: Unsere Crowd ist sehr international. Wir haben Leute aus 132 Ländern auf unserer Plattform. Der größte Teil – etwa 55.000 von den 100.000 registrierten Testern – kommt dabei aus der DACH-Region, da wir hier angefangen haben die Community aufzubauen.
ITespresso: Warum ist Crowdworking besser als herkömmliche Arbeitsmodelle?
Benkler: Ich würde nicht unbedingt das Wort “besser” benutzen, zumal es meistens keine Frage von entweder oder ist, sondern Crowdworking meistens als eine Ergänzung zu den bestehenden Arbeitsmodellen zum Einsatz kommt. Für bestimmte Branchen wie beispielsweise Software oder Telekommunikation bringt Crowdworking natürlich viele Vorteile mit sich. Man hat Zugang zu einer enormen Vielzahl an Arbeitskräften mit den unterschiedlichsten Skills und Qualifikationen.
Neben dem riesigen Wissenspool ist natürlich die große Flexibilität ein Hauptargument für Crowdworking. Wenn ich als Unternehmen zusätzliche Ressourcen benötige, dann kann ich die Crowd auch sehr kurzfristig einsetzen und kann damit meinen Entwicklungsprozess beschleunigen. Wenn ich keinen Bedarf habe, dann entstehen auch keine zusätzlichen Kosten.
Last but not least birgt Crowdworking natürlich auch ein großes Innovations- und Problemlösungspotential. Das sieht man am Beispiel Crowdtesting recht gut. Die Tester sind nicht am Entwicklungsprozess beteiligt und bringen damit einen neue Perspektive mit – ganz ohne die typische Betriebsblindheit. Da die Crowd einen Querschnitt der Bevölkerung widerspiegelt, können wir genau die Personen als Tester auswählen, die den Merkmalen der Zielgruppe der jeweiligen Software entspricht. Darüber erhalten Unternehmen noch vor dem Release die Möglichkeit herauszufinden, was ihre Kunden eigentlich wirklich wollen und wo vielleicht nochmal nachgebessert werden muss.
ITespresso: Was sind Vorteile für Crowdworking-Mitarbeiter allgemein und speziell bei Testbirds?
Benkler: Als Crowdworker kann ich sehr flexibel sowie zeit- und ortunabhängig Geld verdienen. Ich kann selbst bestimmen, welche Aufgaben ich annehmen möchte und welche nicht. Für viele Jobs braucht es lediglich eine funktionierende Internetverbindung, aber ob ich jetzt im Büro sitze oder zu Hause im Garten ist letztlich egal. Das entspricht dem Wunsch vieler Menschen nach mehr Flexibilität und einer besseren Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf. Bei Testbirds im Speziellen kommt noch hinzu, dass wir viele spannende Aufgaben für unsere Tester haben. Sie bekommen neue Produkte oder Apps vor allen anderen zu Gesicht und können dabei mithelfen, die Qualität von Software zu verbessern und somit – wenn auch indirekt – Einfluss auf den Entwicklungsprozess zu nehmen.
Das ist für viele unserer Tester ein wichtiger Grund dafür, bei uns mitzumachen. Da wir beim funktionalen Testing für jeden gefundenen Bug einen Bonus bezahlen, wecken wir gewissermaßen den “Jagdtrieb” der Tester, welcher dann durch ein Erfolgserlebnis in Form von Geld belohnt wird. Auch der Punkt Gamification und Weiterbildung ist nicht zu vernachlässigen. Über unsere “Bird School” ermöglichen wir unserer Crowd sich im Bereich Testing fortzubilden. Und es gibt bei uns neben dem Top10-Ranking einen “Bird of the Month”-Award, mit dem wir unsere besten Tester in verschiedenen Kategorien auszeichnen.
ITespresso: Wo sehen Sie noch Verbesserungsmöglichkeiten?
Benkler: In unserem Code of Conduct haben wir einige wichtige Punkte aufgezeigt, an denen es noch zu arbeiten gilt. Ein wichtiger Punkt ist natürlich die Bezahlung. Es muss sichergestellt werden, dass Crowdworker fair und angemessen entlohnt werden. Wir bei Testbirds haben uns schon vor der Unterzeichnung des Code of Conduct darauf verständigt, dass wir unseren Crowdworker einen Stundenlohn von mindestens 10 Euro bezahlen wollen. Das ist aber nicht bei allen Plattformen so. Neben dem Finanziellen muss man natürlich über Punkte wie soziale Absicherung, aber auch ganz praktische Dinge wie die Spezifizierung der Aufgaben und die Benutzerfreundlichkeit der Plattformen sprechen, damit die Crowdworker ihre Arbeit auch effizient ausüben können.
ITespresso: Sollte die Politik das Arbeitsmodell Crowdworking besser unterstützen?
Benkler: Im Bereich Crowdsourcing ist gerade sehr viel in Bewegung. Derzeit ist nur ein kleiner Teil der Gesellschaft als Crowdworker tätig und das überwiegend nebenberuflich bzw. als eine von vielen verschiedenen Einnahmequellen. Je mehr Menschen online Geld verdienen desto wichtiger wird das Thema und dann wird sich auch die Politik verstärkt mit diesem neuen Arbeitsmodell beschäftigen. Wichtig ist aus unserer Sicht vor allem eine klare und gegebenenfalls neue Definition des Arbeitnehmer-Begriffs, um eine einheitliche Gesetzesgrundlage zu schaffen. Crowdworking unterliegt in Deutschland den gleichen gesetzlichen Regelungen wie eine freiberufliche Tätigkeit oder selbstständiges Unternehmertum, aber derzeit sind die Bestimmungen teilweise noch etwas vage formuliert. Auch wenn die Plattformen selbst versuchen Aufklärungsarbeit zu leisten, so sind doch nicht allen Beteiligten die rechtlichen Rahmenbedingungen bewusst.
ITespresso: Spart Testbirds durch Crowdworking Geld im Bereich Personal?
Benkler: Das lässt sich so nicht sagen. Unsere 60 Mitarbeiter sind nahezu alle fest bei uns angestellt. Was unsere Tester anbelangt, so ist Crowdtesting bei unseren Kunden eine ergänzende Methode der Qualitätssicherung – also ein zusätzlicher Service, der in Anspruch genommen wird, um die eigenen Angebote zu verbessern. Sprich: Unsere Crowdtester übernehmen keine Tätigkeiten von Mitarbeitern des Unternehmens, sondern kommen zusätzlich mit an Bord. Im Bereich Personal wird insofern also kein Geld gespart. Wenn dann müsste man eher die Rechnung aufmachen was günstiger ist, z. B. Geld für die Entwicklung einer App ausgeben, die am Ende aufgrund der schlechten Qualität niemand benutzt – oder aber zusätzliches Geld in Testing investieren und die Anwendung damit verbessern.
ITespresso: Gibt es so etwas wie typische Mitarbeiter? Für wen lohnt sich das?
Benkler: Unsere Tester kommen aus ganz unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen und Altersklassen – vom Schüler über die Hausfrau hin zum Beamten und Rentner. In der Summe gibt es aber mehr junge Leute als ältere, da diese im Schnitt Internet- und Technik-affiner sind. Die 19- bis 25-Jährigen sind besonders stark vertreten, der Gruppe der 40- bis 50-Jährigen gehören aber immerhin noch 10 Prozent unserer Tester an. Crowdtesting lohnt sich im Prinzip für jeden, der Spaß an Technik hat und sich damit etwas dazu verdienen möchte. Haupteinnahmequelle ist Crowdtesting aber sicherlich nicht. Dafür ist die Auftragslage zu unsicher, denn man weiß nie, wann man für das nächste Projekt eingeladen wird.
ITespresso: Bei “herkömmlichen” Unternehmen spielt die Loyalität der Mitarbeiter eine wichtige Rolle. Wie ist das bei Testbirds mit den Crowdworkern?
Benkler: Loyalität und Vertrauen spielt auch bei uns eine sehr wichtige Rolle. Natürlich ist die Bindung zu unseren Testern weniger stark als zu fest angestellten Mitarbeitern – aber das liegt in der Natur der Sache und bedeutet nicht, dass wir deshalb ein anonymes Verhältnis zu unseren Crowdtestern haben. Da wir Software oft vor dem Release zum Testen bekommen, ist es essentiell, dass sich unsere Tester an die Geheimhaltungsvereinbarungen halten und die Werte unseres Unternehmens vor allem hinsichtlich der Qualität der Arbeit teilen. Für uns ist es aber kein Problem, wenn unsere Crowdworker auch noch für andere Plattformen tätig sind.