Tauschbörsen: BGH verhandelt über Haftung von Eltern für ihre Kinder
Am 15. November wird sich der Bundesgerichtshof erstmalig gleich mit mehreren wichtigen Rechtsfragen rund um Tauschbörsen beschäftigen. Das hat die Kanzlei Wilde Beuger Solmecke mitgeteilt. Sie vertritt die Eltern von drei wegen Filesharing abgemahnten Minderjährigen in dem Verfahren. Es geht aber nicht nur um die Frage, inwieweit Eltern als Anschlussinhaber für das Verhalten ihrer minderjährigen Kinder im Web haften, sondern auch darum, welche Beweise Rechteinhaber und ihre Anwälte vorlegen müssen sowie welche Beträge sie verlangen dürfen, falls tatsächlich ein Vergehen vorliegt.
Die Beklagten sind Eltern dreier im Jahr 2007 in ihrem Haushalt lebender Kinder im Alter von 13, 15, und 19 Jahren. Sie wurden im Sommer 2008 von vier großen Musiklabels wegen einer etwaigen Urheberrechtsverletzung aus dem Jahr 2007 abgemahnt und auf Unterlassung sowie auf Zahlung von Abmahnkosten in Höhe von 2380,80 sowie 3000 Euro Schadensersatz in Anspruch genommen. Der Abmahnung ging ein Strafverfahren voraus. In dessen Rahmen fand eine Hausdurchsuchung statt, bei der der Rechner des 13jährigen Sohnes beschlagnahmt wurde. Auf ihm fanden die Ermittler die Tauschsoftware Morpheus und Bearshare sowie zahlreiche Musikdateien.
Der Sohn bestätigte gab schließlich das Filesharing zu. Die Eltern gaben daraufhin eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Sie weigerten sich jedoch, die verlangten Abmahnkosten und Schadenersatzansprüche zu bezahlen. Dies begründeten sie damit, dass sie ihren Überwachungspflichten gegenüber ihrem minderjährigen Sohn in ausreichendem Maße nachgekommen seien: Schließlich habe sich eine “Kinderschutzsoftware” auf dem Rechner befunden. Ferner habe der Vater den Rechner monatlich kontrolliert, dabei aber zu keinem Zeitpunkt Filesharing-Tauschsoftware gefunden. Dieser Argumentation wollten jedoch weder die Richter des Landgerichts noch des Oberlandesgerichts Köln folgen.
Das Oberlandesgerichts erkannte jedoch an, dass die getroffenen Maßnahmen der Eltern “im Ausgangspunkt” ausreichend seien, schloss aber daraus, dass der 13jährige Sohn die Sicherungsprogramme umgangen hatte, dass diese nicht korrekt aufgespielt worden seien. Auch dass sich bei der Beschlagnahme Icons der Tauschsoftware auf dem Desktop des Rechners des Sohnes befanden, werteten die Richter als Anzeichen für eine unzureichende Überwachung durch die Eltern.
Im Rahmen des Verfahrens wurde bereits die Legitimation der vier Kläger bezweifelt – also ob diese überhaupt klagen dürfen. Sie begründeten in sämtlichen Filesharing-Verfahren ihre Rechteinhaberschaft nämlich lediglich durch Auszüge aus der Online-Datenbank Phononet. Laut der Kanzlei Wilde Beuger Solmecke stellt sich die Frage, ob das “Unterstellen” der Rechteinhaberschaft durch die Vorinstanzen nicht bereits einen Verstoß gegen die Grundregeln der Beweislast darstellt.
Außerdem wurde in den Vorinstanzen bereits die Frage aufgeworfen aber nicht beantwortet, ob es sich bei den zum Upload bereit gestellten Dateien überhaupt um urheberrechtliche schutzfähige Werke handelt. Der Anwalt der Eltern argumentierte damit, dass typisches Merkmal von Tauschnetzwerken der Tausch von Dateifragmenten aus unterschiedlichen Quellen ist. Daraus ergebe sich für die Rechteinhaber das Problem nachzuweisen, dass gerade die 15 streitgegenständlichen Musikdateien komplett zum Tausch angeboten worden sind.
Schadensschätzung und Wirksamkeit pauschaler Abmahnungen
Auch die Schadensschätzung wird ein Aspekt des Verfahrens vor dem BGH sein. Das Oberlandesgericht hatte eine sogenannte Lizenzanalogie angenommen und 400 illegale Zugriffe auf jeden der 15 Titel unterstellt. Die Kanzlei Wilde Beuger Solmecke hält das für eine gewagte Feststellung, da von den Klägern lediglich eine einmalige Teilnahme an einer Tauschbörse am 28.01.2007 zwischen 20 Uhr 42 und 20 Uhr 51 belegt wurde: “Der Bundesgerichtshof wird sich insoweit auch mit den technischen Möglichkeiten auseinandersetzen müssen, denn bei der vorgefundenen Dateianzahl von 1147 Dateien ergäbe sich bei einem durchschnittlichen vierhundertmaligem Zugriff auf jede Datei eine Gesamtzugriffzahl von 458.000 und damit bei DSL 1000 und einer Uploadgeschwindigkeit von 128 kbps eine Gesamtuploadzeit von 5,23 Jahren”, so die Kanzlei in einer Pressemitteilung.
Doch damit nicht genug: In dem Verfahren geht es auch um die Wirksamkeit der 2007 ausgesprochenen Abmahnung. Die vier Kläger hatten – wie damals oft üblich – lediglich pauschal behauptet, über den Anschluss der Eltern seien 1147 Musikdateien zum Download verfügbar gemacht worden – ohne jedoch wie heute erforderlich eine Zuordnung der Rechteinhaber zu einzelnen Musikdateien vorzunehmen oder eine Repertoireliste vorzulegen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat eine derartig formulierte Abmahnung 2011 als “völlig unbrauchbare anwaltliche Dienstleistung” bezeichnet, das Oberlandesgericht Köln zweifelte in seinem Berufungsurteils dagegen nicht an der Wirksamkeit der Abmahnung. Auch in diesem Punkt könnte der BGH in dem nun laufenden Verfahren Rechtsklarheit herstellen.
Und schließlich wird sich der Bundesgerichtshof mit den Abrechnungsmodalitäten der Prozessbevollmächtigten der Kläger beschäftigen müssen. Denn gerügt wurde auch, dass die Abmahnkosten außergerichtlich vom Ergebnis der Vergleichsverhandlungen abhängig gemacht wurden – die gesetzlichen Gebühren folglich unterschritten werden -, im Rahmen des Klageverfahrens jedoch Abmahnkosten auf Basis des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes eingeklagt werden.
“Unseres Wissens nach ist es das erste Mal, dass sich der BGH zu diesen Rechtsfragen äußert”, teilt Rechtsanwalt Christian Solmecke mit, der die abgemahnten Tauschbörsennutzer in diesem Verfahren vertritt. “Wir glauben, dass das ausstehende Urteil des Bundesgerichthofes zur Rechtssicherheit in Filesharing-Prozessen, insbesondere zur Klärung der Anforderungen an Aufsichtspflichten sowie an die grundsätzliche Beweislage in Filesharing-Prozessen beitragen wird. Schwierigkeiten bereiten insoweit nämlich die von Gerichtsbezirk zu Gerichtsbezirk unterschiedlichen Rechtsauffassungen. Es kann nicht sein, dass ein Abgemahnter im Gerichtsbezirk Köln auf Zahlung von über 5000 Euro verurteilt wird, während das OLG Düsseldorf die wortgleiche Abmahnung für unwirksam hält.”