Ein Pornofilter ist keine Lösung
Im besten Fall ist der Vorstoß der britischen Regierung, im Rahmen ihrer “Säuberungsaktion für das Internet” auch bestimmte Suchbegriffe zu blockieren, ein Missverständnis darüber, wie die dunkle Seite des Internets funktioniert. Im schlechtesten Fall ist er die Basis für eine Infrastruktur der Zensur, gegen die die “Great Firewall of China” sich wie ein löchriges Sieb ausnehmen würde.
So lässt sich das erklärte Ziel – Kinderpornografie zu bekämpfen – jedenfalls nicht errichen. Deutschen Leser wird die Diskussion aus der Debatte um “Zensursula” und das “Zugangserschwerungsgesetz” bekannt vorkommen, dennoch ist es wichtig, noch einmal darauf einzugehen. Denn auch in Russland wurde im vergangenen Jahr mit der Notwendigkeit argumentiert, Kinder schützen zu müsssen, um durch die Hintertür ein umfassendes Zensurinstrument einzurichten. ITespresso hat daher den Kommentar von Simon Bisson für ZDNet UK an dieser Stelle aufgegriffen.
In einem Interview mit der BBC hatte der britische Premier David Cameron kürzlich den Vorschlag gemacht: Suchmaschinen könnten doch bestimmte Begriffe blockieren – und die Nutzer vor Konsequenzen warnen, wenn sie nach solchen Wörtern suchten. In einer Rede hat er diese Idee diese Woche noch einmal näher ausgeführt.
Zwar ist das ein Ansatz, aber keiner, der den Handel mit illegalen Bildern stoppen wird. Dieser findet nämlich an ganz anderer Stelle statt und berührt die großen Suchmaschinen höchstens am Rande. Stattdessen verbirgt er sich hinter verschlüsselten und eigens eingerichteten Netzwerken, die Microsoft-Ingenieur Peter Biddle und drei seiner Kollegen 2002 “Darknets” getauft haben (PDF). Und genau deshalb ist Camerons Vorschlag irrig und gefährlich, wie die Open Rights Group in einer Reaktion festhält.
Wer Kinderpornografie oder Drogenhandel im Netz stoppen will, steht maßgeblich vor einem maßgeblichen Problem: Der Großteil findet nicht im öffentlichen Internet statt. Online-Kriminelle wissen, dass es illegal ist, was sie tun. Und sie treffen komplexe Vorkehrungen, um ihre Standorte und Dienste zu verschleiern.
Schon Ende der 1990er Jahre war es Usus, mehrere Proxys hintereinander zu hängen, um den Standort eines Rechners zu verbrgen. Schon damals endete so manche Suche nach einem Täter bei einem anonymen Proxy. Heute ist die Technik noch um einiges ausgereifter.
Silk Road etwa ist ein Marktplatz, auf dem fast alles geht – und ein Beispiel für die Techniken, die Darknets nutzen. Es ist ein Dienst, der hinter einem NAT-Router verborgen liegt und nur über das Tor-Netzwerk zugänglich ist. Vor dem Rest des Internets verborgen, werden Dienste wie Silk Road nicht von Suchmaschinen indexiert und lassen sich nur von jenen nutzen, die deren geheime Adressen kennen und wissen, wie man mit der dahinterstehenden Technik umgeht.
Während Silk Road eine öffentlich bekannte Darknet-Site ist, gibt es Unmengen anderer, die nur einem eingeschworenen Kreis bekannt sind. Auf solchen Sites werden die illegalen Bilder oder Videos ausgetauscht, geteilt, gekauft und gehandelt.
Diese Sites findet man nicht über Suchen via Google oder Bing. Sie befinden sich irgendwo am Ende einer DSL-Leitung, weit entfernt von der Gerichtsbarkeit Großbritanniens oder der EU in einem Land mit laxen Gesetzen und noch nachlässigeren Kontrollen. Oder noch schlimmer: Sie werden in einem Fast-Flux-Botnetz gehostet und über die PCs hunderter und tausender unschuldiger oder zumindest nichtsahnender Nutzer verbreitet.
Die Bösen des Internets zu stoppen, funktioniert nicht mit Zensur. Was man hingegen braucht, ist eine internationale Vereinbarung über den Umgang mit illegalen Inhalten: dass sie vom Netz genommen gehören und die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden müssen. Zudem wird es nötig sein, sich über die Server und Dienste auszutauschen, die die Kriminellen nutzen – und gemeinsam Botnetze und Cybercrime-Syndikate zu zerschlagen.
Zusammenarbeit statt Zwang
Statt selbstgerechte Reden darüber zu schwingen, dass Internet Service Provider (ISPs) und Suchmaschinenanbieter zu wenig tun, um unsere Kinder zu schützen, sollten Regierungen mit ihnen zusammenarbeiten – und internationale Abkommen auf den Weg bringen, die es erlauben würden, auch hinter den letzten anonymen Proxy zu schauen.
Warum investieren Regierungen nicht in Polizeieinheiten, die dafür nötig wären, solche komplexen Ermittlungen durchzuführen? Die Schuld einer Suchmaschine oder einem ISP zu geben, ist jedenfalls nicht der richtige Ansatz – insbesondere in Zeiten wie diesen, in denen sich dank PRISM und Tempora das Verhältnis zwischen Regierungen und Internetfirmen massiv abgekühlt hat.
Erlässt man kurzfristig ein Gesetz und blockiert “verdorbene und unappetitliche” Suchbegriffe, lenkt das von dem ab, was man eigentlich braucht: funktionierende Geheimdienstnetzwerke und effiziente Software, um Darknets und ihre Financiers zu enttarnen und zu schnappen. Mit einem Pornofilter, wie von den Briten angedacht, lässt sich die Öffentlichkeit zwar schnell beruhigen – die Kinder schützt er aber nicht. Außerdem geht ein Filter völlig am Problem vorbei: Er ignoriert, dass Darknets existieren und wie sie arbeiten.
Mit einem solchen Mechanismus lassen sich bei Bedarf spielend auch andere Begriffe sperren, die einer zukünftigen Regierung vielleicht sauer aufstoßen. Großbritannien zöge praktisch mit China gleich. Der Westen arbeitet seit Jahren darauf hin, Internetzensur weltweit einzudämmen – und zensiert dann selbst?
Statt auf einen Pornofilter sollte sich die britische Regierung darauf konzentrieren, die finanziellen Drahtzieher hinter den Darknets ausfindig zu machen. Das ist zwar eine komplexe Aufgabe, hat sich jedoch in der Vergangenheit bewährt. Mit den schlagkräftigen Überwachungsprogrammen, die Geheimdienste zurzeit im Kampf gegen den Terrorismus nutzen, sollte sie indes durchaus zu lösen sein.
Schnüffelsoftware wie PRISM und Tempora ließe sich dazu nutzen, hinter die anonymen Proxys zu schauen und die Darknets zu schließen, die in den Untiefen verschlüsselter Netzwerke lauern. So könnten Internet-Provider und Suchmaschinen in Ruhe gelassen werden, statt sie zu unwilligen Erfüllungsgehilfen der Regierungen bei einer ohnehin völlig überflüssigen Aufgabe zu machen.
[mit Material von Simon Bisson, ZDNet UK]
Anmerkung der ITespresso-Redaktion: Den Ausführungen von Simon Bisson ist noch hinzuzufügen, dass die britische Regierung mit ihren Plänen ebenso grandios scheitern kann, wie seinerzeit Frau von der Leyen: Im November 2011 hatte der Europäische Gerichtshof nämlich in einem Urteil erklärt, Internet-Zugangsprovider dürfen nicht zum Aufbau einer Sperrinfrastruktur verpflichtet werden. Das war damals das Aus für die Bemühungen der belgischen Regierung, Internetsperren einzuführen.
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