Diktat bei Tempo 150
Autofahren kann ganz schön langweilig sein. Vor allem, wenn die Straßen frei sind. Auf der Autobahn, wenn man mit Tempo 150 zum nächsten Termin eilt. Auf der wenig befahrenen Landstraße, auf der man gemächlich zur nächsten Ortschaft fährt. Oder wenn man spät abends aus dem Büro gekommen ist und entspannt durch leere Straßen nach Hause gondelt.
Pech gehabt
Kein Wunder, dass viele Autofahrer in solchen Situation gerne ein paar MP3-Songs aus dem Car-Entertainment-System holen oder schnell mal zum Handy greifen und zuhause anrufen. Vor allem vielbeschäftigte Geschäftsleute nutzen gerne die Zeit, um nebenher noch ein paar Telefonate zu führen. Pech gehabt, wenn ausgerechnet in diesem Moment der Wagen vor einem scharf bremst oder ein Fußgänger die Fahrbahn unvermittelt überquert.
Es ist eine Binsenweisheit, dass Handy, Navi und Autoradio während der Fahrt das Unfallrisiko erhöhen. Trotzdem kann kaum einer widerstehen. Aus gutem Grund ist deshalb das Telefonieren im Auto ohne Freisprechanlage verboten ist.
Sprechen mit dem Infotainment-System
Hier soll die Sprachtechnologie von Nuance Abhilfe schaffen. Damit kann der Fahrer die meisten Systeme der Spracheingabe steuern. Er kann Telefonnummern wählen, SMS diktieren, einen Song aus dem MP3-Player aufrufen oder sein Fahrtziel im Navi eingeben. Das hat zwei entscheidende Vorteile: Man kann die Hände am Lenkrad und die Augen auf der Fahrbahn lassen. Ganz so, als würde man sich mit dem Beifahrer unterhalten. Im Zweifelsfall erhält der Fahrer Rückmeldung per Sprachausgabe (Text to Speech).
Riskant: Telefonieren während der Fahrt ohne Freisprechanlage ist aus gutem Grund verboten. (Bild: Nuance)
Konzentrationstest der Universität Braunschweig
Nuance zitiert aus einer Untersuchung der technischen Universität Braunschweig. Dort hatte man 30 Testpersonen während einer simulierten Fahrt Aufgaben gegeben. Sie mussten Musiktitel aussuchen, Rufnummern wählen oder Ziele in das Navigationssystem geben. Diese Aufgaben mussten sie einmal auf herkömmlichen Wege und einmal per Sprachbefehl erledigen. Gleichzeitig wurde gemessen, wie stark die Probanden dabei jeweils von der Fahrspur abwichen. Bei der Bedienung der Freisprechanlage führte die manuelle Bedienung zu 19 Prozent mehr Abweichung von der Spur als bei der Spracheingabe. Bei Letzterer war auch die Reaktionszeit um 24 Prozent kürzer.
Versehentliche Spurabweichung
Wie nicht anders zu erwarten, zeigt der Test auch, dass das Herumtippen auf dem Navi die Konzentration massiv beeinträchtigt. Allerdings war bei Spracheingabe die Gefahr der versehentlichen Spurabweichung um den Faktor zehn niedriger als bei herkömmlicher Bedienung. Nicht anders die Ergebnisse beim Entertainment-System. Bei manueller Musikauswahl waren die Fahrer um bis zu 50 Prozent weniger aufmerksam und verursachten mehr Spurabweichungen, als wenn sie die Musik per Spracheingabe auswählten.
Dieser mobile Businessanwender hat gerade noch eine wichtige SMS verschickt, jetzt hat er offensichtlich ein Problem. (Bild: Nuance)
Insgesamt liefert der Test also einige handfeste Argumente für den Einsatz der Sprachtechnologie.
Einheitliche Schnittstelle für die Automobilindustrie
Als technische Grundlage für Geräte mit Spracherkennung liefert Nuance zum Beispiel seit Anfang Februar die mobile Plattform Voice Control Automotive. Die Software basiert auf dem vom Desktop her bekannten Diktierprogramm Dragon Naturally Speaking und bietet eine einheitliche Sprachschnittstelle für die Automobilindustrie und ihre Zulieferer.
Mit entsprechenden Geräten kann der Anwender alle Infotainment-Gerätschaften einschließlich MP3-Player und Mobiltelefon via Sprachbefehl steuern oder E-Mails diktieren.
Navi mit integriertem Google Earth – bedient wird es per Sprachbefehl. (Bild: Nuance)
Die Technik macht es beispielsweise auch möglich, dass der Anwender bei Navigationsgeräten eine komplettes Zieladresse eingeben kann. Er sagt also zum Beispiel: »Düsseldorf, Königsallee 83«. Er muss nicht mehr umständlich die Stadt, dann die Straße und die Hausnummer eingeben und jedes Mal bestätigen.
Innenraum des Audi A8: Das Auto kostet knapp 90 000 Euro in der Grundausstattung. Ein komplettes Infotainment-System mit Sprachtechnologie ist dabei schon enthalten.
Luxus-Audi mit Multimedia-Interface
Wer genügend Geld hat und sich den neuen Audi A8 (knapp 90 000 Euro in der Basisausstattung) leisten kann, darf diese Funktionen ausprobieren. Dessen Infotainment-System MMI Touch (Multimedia Interface) ist bereits mit der Spracherkennungstechnologie von Nuance ausgestattet. Allerdings geht der Trend dahin, auch weniger hochpreisigen Fahrzeuge mit Spracherkennung auszustatten. Schließlich geht es um die Fahrsicherheit, nicht um Luxus.
Telefonieren lenkt immer ab
Die oben erwähnte Studie der TU Braunschweig zeigt, dass Sprachtechnologie das Unfallrisiko deutlich senkt. Das bedeutet allerdings noch lange nicht, dass die Bedienung von Mobiltelefonen oder Entertainment-Systemen während der Fahrt nicht doch die Konzentration erheblich beeinträchtigen – und seien diese noch so bedienfreundlich gestaltet.
Podiumsdiskussion in München zum Thema »Sprachtechnologie im Auto. Von links nach rechts: Arnd Weil (General Manager Automotive bei Nuance), Moderator Michael Spehr (FAZ), Werner Hamberger (Leiter Entwicklung Bedienkonzepte, Audi), Joachim Menzel (Bury GmbH), Prof. Mark Vollrath (Uni Braunschweig). Der ADAC-Experte Ulrich Chiellino ist hier nicht im Bild.
Zu dieser Einschätzung kamen auch die Experten einer Podiumsdiskussion, die Nuance veranstaltete. Während Werner Hamberger, Leiter Entwicklung Bedienkonzepte bei Audi die Faszination der Spracheingabe lobte, äußerten zwei Experten ihre Skepsis. Sie halten das Multitasking am Steuer auch dann für bedenklich, wenn es per Spracheingabe erfolgt. Ulrich Chiellino, Verkehrspsychologe beim ADAC etwa erklärte: »Autofahren ist eine hochkomplexe, kognitive Angelegenheit, die jederzeit die Aufmerksamkeit des Fahrers erfordert.«
Fast unheimlich: das rollende Büro
Auch Prof. Mark Vollrath von der Uni Braunschweig ist die Vorstellung »fast unheimlich«, dass Autos sich zunehmend in »rollende Büros« verwandeln, in denen multitaskende Managern am Steuer sitzen. Er erinnerte daran, dass jedes Telefongespräch die Aufmerksamkeit auf das Verkehrsgeschehen einschränkt, denn in diesen Momenten ist der Fahrer mit den Gedanken woanders und nicht beim Verkehrsgeschehen.
»Schon jetzt nutzt der Fahrer etwa 20 Prozent seiner Zeit im Auto mit der Bedienung seines Handys, MP3-Players, Navigationsgerätes oder des Entertainments-Systems. Die Autofahrer sollen sich auf das Autofahren konzentrieren«, sagt Vollrath.
Den Trend zum Multitasking im Auto lässt sich jedoch auch nach Einschätzung der Skeptiker nicht mehr aufhalten. So gesehen ist die Nutzung von Sprachtechnologien, die solche Systeme bedienfreundlicher machen, ein Fortschritt. Vielbeschäftigte Manager, die erst spätabends aus dem Büro kommen und unterwegs noch mit Navi, MP3-Player und Ha
ndy beschäftigt sind, werden das zu schätzen wissen.
(mt)