Chinesischer Telekommunikationsexperte sieht »Völkerwanderung zur größeren Bandbreite«
Rockefellers Geschäftsprinzip gerät in der Telekommunikationsindustrie erstmals ins Wanken: Die Öllampen sind verschenkt, finden reißenden Absatz, doch jetzt warten die Kunden auf das Öl. Die TK-Branche kann den Bedarf, den sie selbst geweckt hat, zur Zeit nicht befriedigen. Was fehlt, sind ausreichend schnelle Verbindungen im Internet. Dem Problem der fehlenden Bandbreiten rücken verschiedene Firmen mit verschiedenen Ansätzen zu Leibe. Den aggressivsten Vorstoß unternimmt derzeit ZTE, einer der beiden größten Telekommunikationsausrüster Chinas, der seine neueste Lösung, UNI-FAN (Unified Intelligent Fixed Access Network) kürzlich auf dem Broadband Worldforum in Paris dem Fachpublikum vorstellte.
Die Geister, die sie riefen, wollen Telekommunikationsanbieter im Unterschied zu Goethes Zauberlehrling durchaus nicht mehr loswerden. Doch momentan werden sie ihnen nicht Herr. Was als kleines bescheidenes Rinnsal begann – die Nachfrage nach neuen Telekommunikations- und Mehrwertdiensten entwickelte sich zunächst nur zögerlich – schwoll an zu einem reißendem Strom, der bei Goethes Zauberlehrling »das ganze Haus« als »Ausgeburt der Hölle« schier »ersaufen« lässt. Doch in der TK-Branche trocknet die immer größere Nachfrage nach Videokonferenzen, HDTV, IPTV, hochauflösendem Video-on-Demand, Telemedizin oder netzbasierten Storage-Services die Netze schier aus.
Oft genug ist es Self-Fulfilling Prophecy, die den Markt anheizt. Anbieter neuer Technologien wecken genau die Bedürfnisse – zum Beispiel nach Videokonferenzen, die helfen, die Reisekosten einzudämmen und deshalb sehr beliebt sind – die sie wiederum mit ihren Technologien direkt oder indirekt stillen können: Also im Falle der Videokonferenzen freuen sich nicht nur Hersteller von Videokonferenzsystemen über steigende Akzeptanz, sondern auch TK-Ausrüster, die schnellere Internetverbindungen bereitstellen.
IPTV verschlingt die größten Bandbreiten
Manchmal verbinden sich die Interessen, wie im Falle IPTV: Das Internet-Fernsehen verschlingt große Bandbreiten, und ZTE, einer der beiden größten Telekommunikationsausrüster Chinas, entwickelt nicht nur Technologien, die den Ausbau der Bandbreiten vorantreiben, sondern eben auch IPTV-Equipment. Der Erfolg auf dem einen Gebiet scheint den anderen Erfolg nach sich zu ziehen. Und so hat das Marktforschungsunternehmen Frost & Sullivan mit Sitz in Frankfurt am Main ZTE kürzlich als »2010 IPTV Equipment Vendor of the Year« ausgezeichnet. ZTE war im ersten Halbjahr 2010 weltweit der drittgrößte IPTV-Anbieter im IPTV-Middleware-Markt und führender Anbieter in diesem Markt in Asien und China. Eigenen Angaben zufolge hat ZTE bislang mehr als 63 Millionen Fttx-Ports in über 30 Länder auf allen Kontinenten geliefert, zuletzt nach Litauen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Italien.
Die hohe Nachfrage torpediert das Geschäft
Doch noch knackt es im Gebälk. Die vorhandenen limitierten Bandbreiten reichen bei weitem nicht aus, um die Nachfrage der immer anspruchsvoller werdenden User nach diesen Diensten zu decken. Die Nachfrage nach den neuen Diensten treibt die Nachfrage nach schnelleren Verbindungen sprunghaft in die Höhe.
(Bild: Von den zukünftigen Breitbandservices treibt vor allem Virtual Reality TV den Bedarf an Bandbreiten voran. Quelle: ZTE)
Der Bandbreitenzuwachs ist Musik in den Ohren des TK-Ausrüsters ZTE, nach Mitbewerber Huawei die Nummer zwei in China, beide mit Hauptsitz in Shenzhen und mit Niederlassungen auch in Deutschland vertreten. »Wie hoch der Bedarf in Zukunft sein wird, kann man sich leicht vorstellen, wenn man alleine den Bereich IPTV betrachtet«, erläuterte Dr. Peihong Hou, Chief Technology Officer und Managing Director Deutsche Telekom Business Unit der ZTE Deutschland GmbH. »So benötigt ein HDTV-Kanal via IP zwischen 6 und 12 MBit pro Sekunde im Downstream. Pro Wohneinheit werden drei Kanäle üblich sein, denn schließlich wollen die Eltern andere Programme sehen als ihre Kinder. Mit den heute so weit verbreiteten 6 MBit-DSL-Anschlüssen kommt man also nicht weit. Schätzungen zufolge werden in Zukunft allein für HDTV-Angebote mindestens 50 MBit pro Privathaushalt benötigt«, prognostiziert der Experte für optische Netze.
Chinesische Metropolen und Geisterstädte in Europa
Noch bedeutender ist der schnelle Zugang zum Netz für die Industrie – der Access zu den Autobahnen der Zukunft, die weit über das heute übliche Maß hinausgehen, entwickelt sich zu einem wichtigen Standortfaktor insgesamt. »Europa ist beim Thema Broadband spät dran«, hob Lin Cheng, President, Western Europe Region, ZTE Corporation, in Paris mahnend den Zeigefinger. Lin Cheng identifiziert zwei grundlegende Lücken: die Rückständigkeit der Internet-Anschlüsse auf dem platten Land, wo gerade einmal 1 MBit pro Sekunde pro Haushalt zur Verfügung stehen, im Vergleich zu den großen Städten, deren Bürger immerhin mit 30-50 MBit pro Sekunde surfen können.
Die zweite Kluft, so Lin Cheng, klafft zwischen Europa auf der einen und Amerika und Asien auf der anderen Seite: Während europäischen Städten gerade einmal 100 MBit pro Sekunde an Bandbreite zur Verfügung stehen, pflügen amerikanische und asiatische urbane User mit 1 GBit pro Sekunde alles nieder. Lin Cheng verstieg sich sogar zu der These, dass »die User dahin migrieren werden, wo die Infrastruktur ist. Die Leute ziehen nicht nach Europa, sondern nach Asien!« Bestätigt sah er seine These, wonach allein die Ausstattung mit genügend Bandbreite künftig darüber entscheiden wird, wo die Menschen leben werden, am Verhalten der Kinder, die schon heute nicht mehr auf dem Land leben wollen, da sie dort keine 3D-Videospiele spielen können.
Glasfaser statt Glaskugel
Doch das muss nicht so bleiben. Wenn europäische Netzwerkausrüster auf die Technologien von ZTE zurückgriffen, dann würde sich die Völkerwanderung in Grenzen halten. Denn mit den richtigen Technologien – die im übrigen auch Huawei, Alcatel Lucent, Ericsson oder Cisco anbieten, um nur einige zu nennen können Geschäftskunden über schnelle Glasfaserkabel und intelligente Netzwerktechnologien mit Bandbreiten von bis zu 1 GBit pro Sekunde durchaus versorgt werden.
Die Glasfasertechnik ist zu recht im Gespräch bei den Unternehmenskunden, da sie nicht unbedingt eine komplette Neuverkabelung voraussetzt. Das spart Materialkosten und ist umweltfreundlicher. Zudem können Betreiber durch intelligente Netzwerktechnologien, wie sie ZTE & Co. anbieten, zwischen unterschiedliche Varianten beim Aufbau einer neuen Glasfaser-Infrastruktur wählen.
Das Fttx-Szenario: FttH, FttK und FttB
Unterschieden wird zunächst der Endpunkt der Verkabelung (Fibre-to-the-x, Fttx): Das »x« kann durch »H« wie Home, »K» wie »Kerb« (Bordstein) oder »B« für »Building« ersetzt werden. Nutzen User den Lösungsansatz FttH, werden die Daten direkt in die Wohnung übertragen. Bei FttK geht das Glasfaser bis zum Bürgersteig vor dem Haus, aber nicht in das Haus hinein. Bei FttB geht die Glasfaser in ein Gebäude, meist in den Keller, von wo aus die Datenströme an die einzelnen User verteilt werden.
In Deutschland mehr hybride als reine Glasfasernetze
Zusätzlich zum Endpunkt der Verkabelung kann die technische Beschaffenheit variieren – setzt man reine Glasfaserarchitekturen ein oder Kombinationen aus DSL- mit modernen Glasfaserleitungen? Da das Verlegen der Glasfasernetze mit hohen Tiefbaukosten verbunden ist, wird die neue Fttx-Vernetzung in Deutschland hauptsächlich in Neubaugebieten durchgeführt. Oftmals werden aber auch Altbaugebiete mit Glasfasern ausgestattet, um damit marode Kupferkabel auf der sprichwörtlichen »letzten Meile« zu ersetzen.
»Anders als in China, wo Infrastrukturprojekte in der Regel erstmalig stattfinden, geht es in Deutschland häufig um eine möglichst investitionsschonende Erweiterung bestehender Infrastrukturen«, erklärt Dr. Peihong Hou von ZTE Deutschland. ZTE hat deshalb für Hybrid-Architekturen aus Glasfaser- und Kupferverkabelung mit UNI-FAN eine neuartige Lösung geschaffen, auf deren Basis aktive und passive Architekturen kombiniert werden können (AON, Active Optical Networks, und PON, Passive Optical Networks).
Stromversorgung sparen oder verbrauchen: Passive und aktive Technologien
Bei Glasfaser-Netzen unterscheidet man zwischen aktiven (AONs, Active Optical Networks) und passiven (PONs, Passive Optical Networks) Architekturen. Aktive Netze enthalten Komponenten wie Router, Switches und DSL-Zugangskonzentratoren (DSLAMs Digital Subscriber Line Access Multiplexers), die für den Übertragungsweg eine Stromversorgung benötigen. Das macht den Aufbau und den Betrieb des Netzes für den Anbieter kostspieliger.
Bei der passiven Technologie werden optische Splitter im Übertragungsweg verwendet, die aus rein passiven Elementen bestehen und somit keine Stromversorgung bzw. Klimatisierung benötigen. Passive Netzwerke sind insofern ökologischer, da sie keinen Strom verbrauchen. Sie haben in der Regel auf dem Übertragungsweg keinen Wartungsbedarf und sind für den Betreiber daher in diesem Bereich auch kostengünstiger. Bei GPON (Gigabit Passive Optical Network), können Datenraten von bis zu 2,5 GBit pro Sekunde bereitgestellt und in der Regel bis zu 64 Teilnehmer mit einer Faser versorgt werden.UNI-FAN – Lösung für den europäischen Fttx-Markt
Die Fttx-Lösungen von ZTE sind deshalb so gut für den europäischen Markt geeignet, weil sie skalierbar sind. Der europäische Markt ist zerklüftet, selten werden flächendeckend neue Glasfasernetze verlegt. Vielmehr besteht die Kunst darin, bestehende Netze ressourcenschonend zu modernisieren. Und genau das verspricht die Open-Access-Lösung UNI-FAN. UNI-FAN unterstützt xDSL, PON und Fttx. Wer später auf GPON aufrüsten will, muss kein komplett neues System installieren, sondern nutzt die Modernisierungsmöglichkeiten, die UNI-FAN schon innewohnen. Grün ist ZTE vor allem deshalb, weil durch ein optimiertes Leiterplatten- und ASIC-Design die Wärmeentwicklung reduziert werden kann, was den Stromverbrauch erheblich senkt. »Ingesamt verbraucht UNI-FAN 40 Prozent weniger Strom, als die EU es in ihrem Code of Conduct of Energy Consumption of Broadband Equipment (EC CoC) fordert«, berichtet Christophe de Saint-Martin, Director of Marketing for Western Europe der ZTE Corporation Western Europe mit Sitz in Paris, auf dem Forum.
Ökologie und Ökonomie
»Unseren Kunden helfen wir vor allem damit, dass UNI-FAN die TCO- (Total Cost of Ownership), CAPEX- (Capital Expenditure, die Investitionskosten) und OPEX-Kosten (Operational Expenditure, die Betriebskosten) reduziert«, sagt Frau Chen Jie, Senior Vice President ZTE Corporation, Shenzhen, und Chairman der Software-Tochter ZTE Soft.
»Wir lieben den Wettbewerb«, spornt Frau Chen Jie sich selbst und ihre rund 72.000 Mitarbeiter weltweit an. ZTE ist zwar nicht der größte Telekommunikationsausrüster aus China – Wettbewerber Huawei beschäftigt mit über 95.000 Mitarbeitern fast 20 Prozent mehr Männer und Frauen als ZTE und macht mit 21,8 Milliarden US-Dollar mehr als doppelt so viel Umsatz als ZTE mit 8,82 Milliarden US-Dollar – aber ZTE ist der größte chinesische TK-Ausrüster, der an der Börse notiert ist. Die Aktien des Unternehmens werden an den Börsen in Hongkong und Shenzhen gehandelt.
Es bleibt spannend
ZTE wird das Rad immer weiter drehen und auch in Zukunft von sich reden machen. Denn ZTE beschäftigt rund ein Drittel seiner Belegschaft in Forschung & Entwicklung und investiert nach den Aussagen von Frau Chen Jie »mindestens« 10 Prozent seines Umsatzes in Forschun&Entwicklung – und das ist eine Kampfansage an europäische Konzerne, die durchschnittlich nur 4 Prozent ihres Umsatzes in F&E fließen lassen.
Broadband Worldforum Paris 2010
6.300 Teilnehmer
150 Aussteller
136 Länder (davon 25 % Afrika, 15 % Westeuropa, 15 % Osteuropa, 1 % Asien-Pazifik)
10-jähriges Jubiläum der Veranstaltung
60 % Steigerung im Vergleich zu 2009
Das nächste Broadband Worldforum 2011 findet vom 27.-29.09.11 in Paris statt.
Veranstalter: informa
Info: www.broadbandworldforum.com