Brücken stürzen ein, Handys fallen aus

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INQ-Reporter Charlie Demerjian ist immer dort, wo Nachrichten entstehen. Und Brücken einstürzen. Er berichtet vom Mississippi River in Minneapolis und gibt uns zugleich einen Einblick in sein alltägliches Amerika:

Ich kam abends gegen 6 Uhr nach Hause. Der Verkehr war verdammt übel wegen der Bauarbeiten über meine wichtigste Strecke, die 135W in Minneapolis, MN. Ich fuhr zeitig los und nahm ein paar Nebenstraßen, um den Stau bei der Brücke über den Mississippi River zu vermeiden. Es waren nur zwei von acht Spuren befahrbar, weil sie seit einem Monat oder so neue Fahrbahnbeläge aufbringen.

Ich kam nach Hause und erledigte ein paar Anrufe. Das sonst ganz verlässliche Netz von T-Mobile glänzte nur noch mit Besetztzeichen und seltsamen Fehlermeldungen, als ich mich mit meiner Freundin (1) zum Abendessen verabreden wollte. Ich dachte mir noch nicht viel dabei, bis eine SMS-Nachricht nach der anderen hereinkam. Alle wollten wissen, ob mit mir alles in Ordnung sei.

Einige SMS später war ich über darüber informiert. Die größte Brücke nahe meinem Haus, etwa fünf Blöcke entfernt, war in den Mississippi River gestürzt. Es war einmal die Interstate 35W, jetzt ist es ein Navigationsrisiko für die Schifffahrt.

Ich sprang also auf den WebEx-Segway, für ein Abenteuer gerüstet mit der guten alten Pentax Option 4Si und der Nokia N95. Die Szenerie war unglaublich trist. Die Menschen drängten sich sinnlos, und es tauchten immer noch mehr Feuerwehrautos und Polizeifahrzeuge auf.

Als Erstes war da dieser Geruch. Es war teilweise staubig, je nachdem wie der Wind blies, aber es roch nie richtig aufdringlich. Ein Tanklastwagen brannte, eine Rauchfahne stieg auf der anderen Seite der Brücke hoch. Doch es war weit genug weg, um nicht wirklich die Lungen zu verätzen.

Nach den ersten paar Aufnahmen aus verschiedenen Blickwinkeln kam ich zur Schlußfolgerung, dass die Leute verdammt Recht hatten, die seit Jahren nach mehr Investitionen in die Infrastruktur rufen. Ich begann zu überlegen, warum das geschehen war. Und nicht nur weil dies eine Tech-Site ist, kam ich schnell auf beunruhigende Parallelen zur Welt von Bits und Bytes und Kommunikation.

Während ich dort draußen war, bekam ich ein rundes Dutzend SMS-Nachrichten, aber nur ein oder zwei Anrufe. Jeder zehnte Anruf, den ich versuchte, kam durch. Die Hälfte der erfolgreichen Anrufe wiederum war mit Problemen verbunden – der Gesprächspartner war nicht zu hören, die Verbindung brach ab, zu schlechte Verbindung.

Warum? Ganz einfach, Überlastung. Die Infrastruktur reichte dafür nicht aus. Freunde, die zehn bis fünfzehn Meilen entfernt waren, konnten nicht anrufen. Das ganze Netz stand kurz vor dem Zusammenbruch. Mein Zugang bei T-Mobile, der meiner Freundin bei Verizon und Keith Bachmans bei Cingular gingen alle den Bach runter. Ähm, wirklich kein gutes Wortspiel, es waren suboptimale Betriebsbedingungen.

Wie ich später hörte, wurden die Gaffer über Fernsehen und Radio aufgefordert, ihre Handys besser stecken zu lassen, damit die Rettungskräfte die ihren benutzen konnten.

Die Kommunikations-Infrastruktur versagte nicht völlig wie in der Vergangenheit. Doch für Leute, die auf Notfälle reagieren müssen, war sie alles andere als verlässlich. Wer mit ein paar gebrochenen Knochen auf einem Stück Felsen im Mississippi River sitzt, der möchte einen Notruf absetzen können und nicht zu hören bekommen, dass der gewünschte Gesprächspartner leider gerade nicht erreichbar ist. Kann mich jetzt jemand hören?

Wir haben uns zu sehr auf die Technologie verlassen, und das bekommen wir nun zurück. Es war nicht ganz so schlimm diesmal, wie es jedenfalls aussieht, während das hier geschrieben wird. Sieben Tote wurden bislang bestätigt, das ist ein tragischer Verlust, aber nicht in der Kategorie der richtig schweren Katastrophen. Hätte eine Katastrophe die ganze Stadt betroffen statt nur einen einzelnen Punkt, dann hätte es bestimmt keine Spur von Mobilfunk mehr gegeben.

Wie damals bei Katrina zeigt sich wieder, dass die Regierung sich nicht wirklich für so etwas zuständig fühlt. Früher wurde die Infrastruktur auf Toleranzgrenzen und Benutzungsschwellen ausgelegt, die niemals erreicht wurden, und schon gar nicht alltäglich erreicht wurden.

Heute ist alles auf eine Gerade-mal-so-Qualität ausgerichtet, ob es nun um Brücken oder um Mobilfunkverbindungen geht. Es wird gerade so viel geleistet, dass die Leute nicht zu verärgert sind. Und möglichst nicht anfangen, ihre Recht bei Gericht zu suchen.

Wenn dann einmal etwas Unverhergesehenes passiert, ist der Schritt von der Unannehmlichkeit zur Katastrophe nicht mehr weit. Und Menschen finden vielleicht den Tod, die sonst nur eine leichte Unbill erlitten hätten. Ich kann mich an zwei oder drei Gelegenheiten erinnern, bei denen das lokale Mobilfunknetz vollständig zusammenbrach. Und das sind zwei oder drei Male zu viel.

Aus Komfort und Nutzen des mobilen Telefonierens ist eine Frage der öffentlichen Sicherheit geworden, und das gilt auch für die Toleranzschwellen. Deine und meine Sicherheit leiden, und wir gehen dieses Risiko für ein paar Dollar ein. Niemand gibt gerne Geld aus, wenn alles gut ist und die Sonne scheint. Aber es war es spätestens dann wert, wenn das eigene Haus brennt und man einen Hilfsdienst erreichen muss.

Was hat mir das gezeigt? Zum einen, das Mobilfunknetz ist kaum tauglich für die öffentliche Nutzung. Und völlig untauglich, wenn es einmal um alles geht. Wir geben nicht genug für Infrastruktur und Überkapazität aus. Die Dinge erreichen eine kritische Ebene der Vernachlässigung. Wenn das geschieht, dann macht das Handy Zicken, Brücken stürzen ein, und Menschen sterben.

(1) Sie versuchte zugleich ihre Mutter zu erreichen, weil sie die Nachricht vernommen hatte. Sie wählte 15-mal oder öfter. Jeder Anrufversuch brach innerhalb von 5 – 12 Sekunden ab. Keiner kam durch. Sie hasst ihr Chocolate-Handy von Verizon und begann sich zu fragen, ob es wohl endlich den Geist aufgegeben hatte.

(von Charlie Demerjian / aus dem Amerikanischen von bk)

Inquirer UK

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