“Assimilieren” große Softwarefirmen Linux?
Linux, Lügen und Lizenzen

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Community gegen Big Business

“Assimilieren” große Softwarefirmen Linux?

Zunächst rumorte es in der OpenSource-Szene, als Microsoft seinen Deal mit Novell ankündigte. MS-Chef Steve Ballmers Aussagen, die Linux-Community schulde Microsoft etwas, brachte das Fass schließlich zum Überlaufen – und teilte die Linux-Gemeinde in zwei verfeindete Lager.


Steve Ballmer blickt auf die Linux-Gemeinde wie auf eine Football-Bannschaft herab: Verächtlich und doh fasziniert (Bild: Andrew Hitchcock. Frei unter Wikipedia Commons)

“Die großen Softwarefirmen haben freie Software als Milliardengeschäft entdeckt” erklärt Joachim Jakobs von der Free Software Foundation Europe. Das Linux-Betriebssystem habe es in vielen Bereichen bereits zu beträchtlichem Marktvolumen gebracht. “Die Großen wollen sich sicherlich auch Ihren Teil vom Kuchen abschneiden”. Früher hätten gerade mal IBM und HP sich hier engagiert, jetzt wollten auch alle anderen mitmischen – zum Beispiel Oracle und Microsoft.

Doch wenn es um Geld geht, kommt es unweigerlich zu Zerwürfnissen, auch in der ach so freien Entwicklergemeinde. Novells Kooperation mit Microsoft etwa sollte vor Allem die Koexistenz von Linux und Windows in heterogenen Firmennetzen sichern. Microsoft vermarktete sie daraufhin aber auch als Patentaustausch: Lediglich die Nutzer von Suse Linux seien ausreichend geschützt gegen rechtliche Ansprüche von Microsoft, erklärte Microsoft-Chef Steve Ballmer auf einer Konferenz der Professional Association for SQL Server (PASS) in Seattle im November. Jeder Linux-Nutzer habe eine “ungenannte Verbindlichkeit in seiner Bilanz stehen”.

Bärendienst und Schlagabtausch

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Dadurch, dass Novell das Geschäft mit Microsoft abgeschlossen habe, erklärt Jakobs, “hat Novell der Community einen Bärendienst erwiesen. In der Öffentlichkeit ist dies fälschlicherweise so angekommen, dass der Linux-Kernel Patente von Microsoft verletzt.” – Auf unsere Frage an Microsoft, welche Patente genau von Ballmer gemeint seien und ob die Nutzer in Unternehmen mit Repressalien rechnen müssten, bekamen wir die Antwort, das Unternehmen könne uns diese Fragen derzeit nicht beantworten.

Gleichzeitig mit dem Novell-Deal fand zudem ein bizarrer Schlagabtausch zwischen Red Hat und Oracle statt. Die Gefahr hinter offener Software: Auch andere können sie – legal – nutzen und weiterentwickeln. Oracle nahm beispielsweise im Oktober die Red-Hat-Distribution und passte sie selbst an. “Oracle unbreakable Linux” wird mit mehreren hundert eigenen Mitarbeitern selbst “supportet” werden, angeblich zum halben Preis des Red-Hat-Services – ein Versuch, sich die Kunden selbst zu angeln, denen Red Hat bislang auch Support-Services anbot.

Red-Hat-Manager Dirk Kissinger erklärt, dass ein Rechenexempel zeige, dass der angeblich preislich günstigere Support von Oracle nicht vergleichbar sei mit dem von Red Hat. Zum einen handele es sich um unterschiedliche Laufzeiten, zum anderen um unterschiedliche Support-Stufen. Am Ende würden die Red-Hat-Kunden günstiger wegkommen.

OpenSource-Gemeinde lässt sich nicht vereinnamen

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Durch diese aktuellen Ereignisse ist der Streit um Linux-Lizenzen und Software-Patente eskaliert – zumindest in der Gemeinde der OpenSource-Onliner, die sich in verschiedenen Foren und Weblogs gegenseitig angreifen und der Lüge bezichtigen – obwohl kaum einer den Inhalt der GNU-Lizenzen und der Patentvereinbarungen wirklich kennt. Microsoft, Oracle und andere Größen seien wie die Rasse der “Borg” in der Science-Fiction-Reihe Star Trek, heißt es in einigen Forenbeiträgen – sie würden Linux “assimilieren” wollen. PC-Professionell-Chefredakteur Franz Neumeier fasste es vorigen Monat zugespitzt zusammen: “Microsoft kauft Linux”.

Red-Hat-Marketing-Manager Kissinger zu den Community-Worten über “die Borg”: “Die OpenSource-Entwickler lassen sich genauso wenig assimilieren wie Captain Picard“. Eine von OpenSource-Entwickler Bruce Perens gestartete Online-Petition gegen den Novell-Microsoft-Deal fand jedoch noch nicht eine so hohe Akzeptanz in der “Szene” wie erhofft – daran ist zu sehen, dass sich die Meinungen inzwischen teilen.

Dabei sind die GPL-Lizenzen “für Anwender sehr einfach, für Anbieter jedoch ein durchaus komplexes Thema mit verschiedenen Urheberrechten und einigen Patentfragen”, meint Georg C.F. Greve, Präsident der Free Software Foundation Europe. “Die GNU General Public License v3 ist keine Reaktion auf die Ereignisse”, wirft Greve ein, “sie wird seit Jahren diskutiert und konkret seit zwei jahren bearbeitet.”

Die Kern-Änderungen lägen daher vor allem in der Internationalisierung, also Anpassung an internationales Recht, in der Kompatibilität mit anderen Freie-Software-Lizenzen (es wird Vorschriften geben, was man in Lizenzen aufnehmen darf und was nicht) und in Ergänzungen zur bereits vorhandenen Patentsprache”. Hier drückt sich der Jurist vorsichtiger aus als viele Mitarbeiter seiner Organisation. “wir bleiben hier allerdings bewusst hinter den Bestimmungen anderer Lizenzen, beispielsweise die Mozilla Public License, zurück”, erläutert Greve. Darüberhinaus gibt es Regelungen gegen die technische Aushebelungen von durch die Lizenz gewährten Rechten. Und noch können alle Web-User weltweit sich am Entstehen der neuen Lizenz beteiligen – das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.

Unternehmen mit Linux-Einsatz müssen nichts befürchten

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Kampf um den Inhalt der Lizenzen
Während also die Freigeister von der neuen Lizenz erhoffen, Geschäftemacherei und Klagen zu freier Software massiv einzuschränken und dabei das Schild der “Community” hochhalten, sehen andere, dass mit Linux inzwischen richtig Geld gemacht wird – und viele Vorschläge für die GPL3 vielleicht nicht durchsetzbar sind. “Schließlich werden die wichtigsten OpenSource-Entwickler ohnehin schon von Unternehmen bezahlt”, weiß Klaus Länger, Experte in der Redaktion PC Professionell und bei der deutschen Ausgabe von The Inquirer. Einer der industriebezahlten Entwickler ist Linux-“Oberguru” Linus Torvalds, der in Diensten der von einer ganzen Reihe von Unternehmen finanzierten OSDL (Open Source Development Labs) steht – und der nichts Verwerfliches an der Novell/Microsoft-Kooperation sieht. Torvalds lehnt die Version 3 der GPL für “seinen” Linux-Kernel sogar ab.

Auch Microsoft selbst ist da ganz locker: “Die Kunden wollen dies, und auch die Free Software Foundation hat angedeutet, das sich der Deal an die GPL, wie sie derzeit ist, hält”. Logisch: Die GNU-Lizenz in Version 3 ist noch gar nicht fertig. Jürgen Jakobs von der FSFE fügt an: “Wenn Novell und Microsoft die Wartung selber übernehmen, müssen sie das nach Inkrafttreten der GPL3 völlig alleine machen”. Denn sobald Novells SuSE Linux sich an die GPL3 anpasse, so Jakobs, müsse die Firma auf die Hilfe der Community verzichten.

“Scotty, bring uns hier raus”, hätte der frühere Star-Trek-Captain Kirk gesagt: Das OpenSource-Raumschiff fliegt weiter. Microsoft werde aus eigenem Über
lebenstrieb niemanden verklagen, meinen Branchenbeobachter in US-Blogs. Unternehmen, die OpenSource einsetzen und sich bei den rechtlichen Gegebenheiten an die “Freedom Task Force” der FSFE wenden – ein weltweites Netz erfahrener Urheberrechtsexperten – müssen nichts befürchten.

Patentstreit auch in Print

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Die Masse der Geschehnisse, die den Steit in der Linux-Community auslöste, mag den einen oder anderen Computernutzer irritieren.

Eine gekürzte und auf die wesentlichen Fakten reduzierte Geschichte zum Thema finden Sie in der PC Professionell 2/2007, die jetzt am Kiosk bereitliegt.

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