Beleidigende Kommentare auf Nachrichtenseiten im Web müssen hingenommen werden

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Gerichtsurteil (Bild: Shutterstock/ER_09)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat ein weiteres für die freie Meinungsäußerung im Web bedeutsames Urteil gefällt. Demnach sind beleidigende und vulgäre Kommentare auf Online-Nachrichtenseiten hinzunehmen. Die Grenze wird überschritten, wenn zu Straftaten aufgefordert wird.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte sich erneut mit der Frage auseinanderzusetzen, inwieweit Kommentare auf Nachrichtenseiten im Internet durch das Recht auf freie Meinungsäußerung geeckt sind, beziehungsweise ab wann sie von den Betroffenen beanstandet werden können und dann gelöscht werden müssen. Grundsätzlich wurde in dem Verfahren zwischen Magyar Tartalomszolgáltatók Egyesülete (MTE), der Selbstregulierungsorganisation der ungarischen Internet Service Provider, und der Website Index.hu einerseits sowie einem Immobilienportal andererseits ein ähnlicher Sachverhalt verhandelt, wie im vergangenen Jahr im Streit zwischen dem estnischen Nachrichtenportal Delfi.ee und einer Fährgesellschaft des Landes. Allerdings weist der EGMR auf wichtige Unterschiede hin und grenzt mit dem aktuellen Urteil Erlaubtes von Unerlaubtem noch einmal genauer ab.

Laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) müssen beleidigende Kommentare auf Nachrichtenseiten im Web hingenommen werden - solange sie nicht offensichtlich rechtsiwdrig sind (Bild: Shutterstock)

In seinem Urteil hat der EMGR noch einmal betont, dass die Nachrichtenseite, obwohl sie nicht im traditionellen Sinne Urheber der bei ihr veröffentlichten Kommentare ist, diese dennoch zu verantworten hat. Allerdings hätten die ungarischen Gerichte in ihren Entscheidungen zu Ungunsten der Nachrichtenseite bei ihrer Rechteabwägung – einerseits das der Website auf freie Meinungsäußerung und andererseits das Recht des Immobilienportals auf Respekt für seinen Ruf – falsch gewichtet.

Den Fehler sieht der EMGR vor allem darin, dass die ungarischen Richter davon ausgegangen sind, dass die beanstandeten Kommentare alleine schon deshalb einen Rechtsverstoß darstellten, weil sie eine Gefahr für den Ruf des Immobilienportals darstellten. Alle Instanzen befanden, dass die beiden Beklagten dadurch, dass sie ihren Nutzern die Möglichkeit eröffneten, Kommentare zu veröffentlichen, für diese auch haften. Die Kúria, das höchste ungarische Gericht, erlegte ihnen daher schließlich eine Strafe von 75.000 Forint (rund 250 Euro) auf. Nachdem ihre Verfassungsbeschwerde dagegen im Mai 2014 abgewiesen worden war, wandten sie sich an das EU-Gericht.

Sowohl die Website von MTE als auch Index.hu hatten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der beanstandeten Kommentare keine vorherige Freigabe, aber ein System eingerichtet, dass es Nutzern erlaubte, missbräuchliche Kommentare zu melden und sie entfernen zu lassen. In einem Disclaimer wiesen sie Kommentatoren darauf hin, dass diese für die Inhalte ihrer Kommentare verantwortlich sind. Allerdings kamen weder MTE noch Index.hu den Aufforderungen des in den Kommentaren zusammenfassend als Abzocker beschimpften Immobilienportals nach, die negativen Kommentare zu dessen Geschäftspraktiken zu löschen.

Damit waren sie dem EMGR zufolge im Recht. Der wies aber noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass der Fall trotz der Ähnlichkeit zu einem im vergangenen Jahr verhandelten Verfahren zwischen dem estnischen Nachrichtenportal Delfi.ee und einer Fährgesellschaft des Landes letztendlich anders gelagert ist. Der entscheidende Unterschied ist, dass dort nicht nur beleidigende Kommentare und vulgäre Ausdrücke verwendet wurden, sondern Hassreden verbreitet und zu Gewalttaten aufgerufen wurde. Damit hatten die Kommentatoren ganz klar die Grenze des Erlaubten überschritten. Weder sie noch die für die Veröffentlichung verantwortlichen Betreiber der Nachrichtenseite durften sich daher auf das Recht der freien Meinungsäußerung berufen.

Außerdem gaben die EU-Richter zu bedenken, dass es sich beim aktuellen Fall lediglich um die Sorgen einer Firma um ihren Ruf gehandelt habe. In dem im vergangenen Jahr verhandelten Fall ging es dagegen um Sorgen von Personen, die als Individuen bedroht worden waren. Deren Rechte seine höher einzuschätzen. Und letztendlich berücksichtigten sie auch, dass gegen die Betreiber des Immobilienportals bereits zahlreiche Beschwerden bei Verbraucherschutzorganisationen vorlagen und Untersuchungen liefen. Die beanstandeten Kommentare hätten daher wahrscheinlich keinen wesentlichen Einfluss auf den Ruf der Firma mehr gehabt.

In Deutschland gilt die Regel, dass Online-Portale für beleidigende Inhalte erst ab Kenntnis der Rechtsverletzung haften. Ihnen wird für die Löschung eine Frist von ein bis zwei Tagen zugestanden. Der Bundesgerichtshof hat eine Kontrollpflicht in einem früheren Urteil ausdrücklich verneint (Aktenzeichen VI ZR 101/06).

Auch für unwahre Behauptungen haften Portalbetreiebr in Deutschland nicht grundsätzlich, wie der Bundesgerichtshof im vergangenen Jahr entschieden hat (Aktenzeichen I ZR 94/13). Er hatte sich damit im Streit zwischen einem Hotel und einem Hotelbewertungsportal auf die Seite des Portalbetreibers gestellt. Die Richter begründeten das damit, dass die beanstandete Nutzerbewertung keine eigene “Behauptung” des Portalbetreibers ist. Dieser mache sie sich zudem weder durch die Prüfung der Bewertungen noch durch deren statistische Auswertung inhaltlich zu Eigen.

Auch der Vorwurf, er habe die Behauptung “verbreitet”, ist nicht haltbar. Die Haftung eines Diensteanbieters, der im Sinne des Telemediengesetzes eine neutrale Rolle einnimmt, ist nach Auffasung der Richter eingeschränkt. Für unwahre Tatsachenbehauptungen eines Dritten haftet er nur dann, “wenn er spezifische Prüfungspflichten verletzt hat, deren Intensität sich nach den Umständen des Einzelfalls richtet.” In dem Fall sei ihm die “inhaltliche Vorabprüfung der Nutzerbewertungen” aber nicht zumutbar gewesen. In der beanstandetn Bewertung war davon die Rede, dass es in dem Hotel Bettwanzen gegeben hatte.

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