Vergessen 2.0: Deutsche lassen bei Google 50.000 Links verschwinden

In seinem diesjährigen Transparenzbericht geht Google erstmals auf Löschanfragen von Privatnutzern ein. Seit Mai sind demnach 190.000 Anfragen für 685.000 Links eingegangen. In Deutschland wurden 31.700 Anträge für fast 120.000 Links gestellt. 50.000 davon hat Google gelöscht. Der Bericht mit dem Titel “Ersuchen zur Löschung von Suchergebnissen gemäß europäischem Datenschutzrecht” gibt den Stand der Löschanträge bis zum 23. Dezember 2014 wieder., während der Transparenzbericht zu Löschanträgen von Regierungen gerade erst für die zweite Jahreshälfte 2013 vorliegt.
Seit dem der Europäische Gerichtshof der Klage (Az. C131/12) eines spanischen Nutzers im Mai 2014 stattgegeben hat, können auch Privatpersonen zum Schutz ihrer Privatsphäre Links bei Google und anderen Suchmaschinen löschen lassen. Unter bestimmten Umständen müssen diese seitdem personenbezogene Ergebnisse löschen. Nutzer können beispielsweise die Entfernung von Links zu irrelevanten und falschen Informationen über sie verlangen.
Das Urteil des EuGH macht den Betreiber einer Suchmaschine im Fall personenbezogener Daten auf von Dritten veröffentlichten Internetseiten für die von ihm vorgenommene Verarbeitung verantwortlich. Das heißt, dass eine Person unter bestimmten Voraussetzungen den Betreiber direkt auffordern kann, Links aus der Ergebnisliste zu löschen, die bei einer Suche nach ihrem Namen erscheint. Die fraglichen Einträge müssen die Privatsphäre der Person verletzen.
Googles Bericht enthält über die reinen Zahlen hinaus erneut Beispiele aus unterschiedlichen Ländern, natürlich ohne Namen zu nennen. In Deutschland wurde beispielsweise ein Link auf einen Zeitungsartikel über eine Vergewaltigung gelöscht, der den Namen des Opfers enthielt. In Italien erkannte Google einen Antrag einer Einzelperson an, einen Link zu einer Seite zu entfernen, auf der ein von ihr selbst veröffentlichtes Foto erneut gepostet wurde.
Ebenfalls in Italien lehnte Google einen Antrag ab, einen Link zu einer Kopie eines von einer Landesbehörde veröffentlichten amtlichen Dokuments zu entfernen, in dem es um betrügerische Handlungen des Antragstellers geht. Und in Großbritannien findet, wer nach dem Namen eines bestimmten Medienschaffenden sucht, weiterhin vier Artikel, die sich spöttisch mit dessen Veröffentlichungen befassen.
Die meisten von Google gelöschten Links führten zu facebook.com, nämlich 4814, knapp vor profileengine.com mit 4542 Links. Über 3000 Links wurden je auch für groups.google.com, badoo.com und youtube.com gelöscht – nicht aber die dortigen Originalbeiträge.
Nach eigenen Angaben wägt das Unternehmen bei der Prüfung jedes Ersuchens “die Datenschutzrechte der Einzelperson gegen das öffentliche Interesse an Informationen ab”. Strittige Fälle versucht es mithilfe eines eigens gegründeten “Lösch-Beirats” in Eigenregie zu klären. Zudem entwickelt die Artikel 29 Datenschutzgruppe der EU-Kommission ein Regelwerk, das Suchmaschinen helfen soll, Beschwerden zu Löschanfragen nach dem EuGH-Urteil zum “Recht auf Vergessen” zu bearbeiten. Dieses soll sicherstellen, dass alle Suchmaschinen in der Europäischen Union die Löschanträge von Nutzern gleichbehandeln.
Wer Inhalte aus Googles Suchresultaten entfernen lassen möchte, muss in das bereitgestellte Online-Formular unter anderem Namen, E-Mail-Adresse und die zu entfernenden Links samt einer Begründung für die Löschung eingeben. Außerdem verlangt Google einen Identitätsnachweis in Form einer Kopie eines gültigen Führerscheins oder Personalausweises, die als Bilddatei hochgeladen werden kann.
Auch Microsoft und Yahoo haben das Urteil des Europäischen Gerichtshof inzwischen umgesetzt. “Wir werden jede Anfrage gründlich prüfen, mit dem Ziel, zwischen dem Recht auf Privatsphäre des Einzelnen dem Recht der Öffentlichkeit auf Information abzuwägen”, sagte eine Yahoo-Sprecherin Anafng Dezember. Ein Microsoft-Sprecher ergänzte, sein Unternehmen suche ebenfalls nach der Balance zwischen der individuellen Privatsphäre und dem öffentlichen Interesse an der freien Meinungsäußerung.
Das Urteil des EuGH ist äußerst umstritten. Während die einen den Schutz der Privatsphäre gestärkt sehen, befürchten die anderen, dass dadurch der Zensur Vorschub geleistet werde. Harsche Kritik am Urteil übte auch Johannes Masing, Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. In einer 24-seitigen Auseinandersetzung mit der EuGH-Entscheidung kam er zu dem Schluss, dass sie ein Ungleichgewicht zwischen Persönlichkeitsrechten und Kommunikationsfreiheit schaffe, das “die liberalen Linien des Äußerungsrechts zu unterlaufen droht”. Er machte außerdem darauf aufmerksam, dass das Urteil die potenziellen Einflussmöglichkeiten der Suchmaschinen sogar noch verstärkt. Für grundsätzlich falsch hält Masing, den Suchmaschinenbetreibern die Aufgabe zuzuweisen, zwischen den Grundrechten abzuwägen.
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[Mit Material von Florian Kalenda, ZDNet.de]
