ZDF-Sendung rechnet mit Rocket Internet und den Samwer-Brüdern ab

Die ZDF-Sendung Frontal21 hat sich als erstes Fernsehteam in der Berliner Zentrale von Rocket Internet umsehen dürfen und ein Interview mit Oliver Samwer geführt. Seine Eindrücke hat es in der gestern Abend ausgestrahlten Ausgabe und vorübergehend noch in der ZDF-Mediathek verfügbaren Sendung mit dem Titel “Die große Samwer-Show – Die Milliardengeschäfte der Zalando-Boys” zusammengefasst. Darin kommen die Internetunternehmer Marc, Alexander und Oliver Samwer nicht gut weg.

Die Journalisten Christian Esser und Birte Meier begannen ihre Nachforschungen auf einer Fachkonferenz von Handelsunternehmen im Juni in Paris. Der dort als Redner auftretende Oliver Samwer erklärt im Film: “Die Menschen haben damals Läden gebaut, weil sie kein Internet hatten.” Die Zahlen scheinen ihm Recht zu geben: Inzwischen beschäftigt sein Unternehmen Rocket Internet direkt oder über seine Beteiligungen weltweit rund 20.000 Mitarbeiter – mehr als Karstadt, wie die in dem Bericht erklärt wird.
Als Unternehmensgrundlagen verweist Samwer in dem ZDF-Interview – seinem ersten Fernsehinterview überhaupt – auf die “deutschen Tugenden Fleiß, eine gewisse Weise von Mut, eine gewisse Weise von sag ich mal ‘Schuster bleib bei deinen Leisten’, konzentrier Dich auf das was Du gut kannst, mach nicht zu eine große Welle – wir sagen immer, wir sind so ein bisschen der Schrauben-Würth vom Internet.” Kurzum, Samwer bezeichnet sein Unternehmen als typischen “deutschen Mittelstand”.
Das stellen die Macher des Berichts allerdings in Frage: “Wo immer auf der Welt sich online Geld verdienen lassen könnte, tauchen die Samwers auf”, merken sie an und attestieren den drei Brüdern den Anspruch, so groß wie Facebook oder Google werden zu wollen.
“Die Kiste ist schwarz statt grün.”
Am Beispiel der Rocket-Beteiligung SpaceWays – einem Anbieter von Lagerraum via Internet – begleiten die ZDF-Mitarbeiter die Entstehung eines Unternehmens. Das geht schnell: Acht Wochen soll das in dem Fall nur dauern. Die Geschwindigkeit führt der Frontal21-Bericht allerdings nicht nur auf die von Samwer im Interview beschworenen “deutschen Tugenden” zurück, sondern auch darauf, dass sich Rocket Internet und seine Beteiligungen schamlos fremder Ideen bedienen. In dem Fall führen sie den New Yorker Anbieter MakeSpace an, der bereits seit längerem mit demselben Konzept und einem sehr ähnlichen Auftreten am Markt aktiv ist: “Name, Onlineauftritt und Geschäftsmodell sind nahezu identisch. Unterschied: die Kiste ist schwarz statt grün”, stellen sie fest.

Das Kopieren habe bei den drei Brüdern allerdings Tradition, heißt es weiter: Ihr 1999 gegründetes Unternehmen Alando sei ein Ebay-Klon gewesen, an dass sie ihre Firma dann nach einem halben Jahr für 43 Millionen Dollar verkaufen können. Die nächste Gründung, Jamba, führen sie auf ein japanisches Portal mit Klingeltönen zurück. Der Verkauf an Verisign für 273 Millionen Dollar sei gerade im rechten Moment gekommen, schließlich habe das Geschäftsmodell durch zahlreiche, an Minderjährige vermittelte Abos eine Beschwerde- und Prozesslawine losgetreten.
“Es gibt in der Welt mehr Ideen als Menschen”, verteidigt sich Samwer im Interview. Den Weg von der Idee bis zur Umsetzung vergleicht er mit dem Prozess vom Aufwachen bis zum Aufstehen. Und die Energie, die zum Aufstehen beziehungsweise zur Unternehmensgründung aufgebracht werden muss, sieht er stillschweigend als ausreichende an, um auch die Nachahmung einer bereits einmal umgesetzten Idee zu rechtfertigen.
US-Experten warnen vor dem Samwers
Dennoch hat ihm das im Silicon Valley keinen guten Ruf eingebracht. Der Bericht lässt mehrere Insider zu Wort kommen, die das bestätigen beziehungsweise die regelrecht vor den Samwers warnen. In Deutschland tun sich die Macher des Berichts dagegen schwerer, kritische Stimmen zu finden – kein Wunder, befragen sie doch auch zunächst ehemalige Weggefährten und aktuelle Manager von Firmen, an denen Rocket Internet beteiligt ist.
Dennoch wirft der Bericht den Samwers vor, “teilweise rabiat, mitunter sogar am Rande der Legalität” zu agieren. Sie untermauern das mit dem Beispiel Wimdu, einer Vermittlungsplattform für Privatunterkünfte – ganz wie das US-Vorbild Airbnb. Letzteres beschuldige Wimdu, Adressen von Vermietern unter einem Vorwand für sich gesammelt beziehungsweise einfach kopiert zu haben.
“Hinterhältig und aggressiv”
In Istanbul seien die Samwers ebenfalls mit “zweifelhaften Methoden” aufgefallen, als sie sich 2012 anschickten, den Internetmarkt in der Türkei zu erobern und dafür acht Firmen gründeten. Can Altineller, Gründer des Kunsthandwerkmarkplatzes Emeksensin, spricht von Scheinprodukten, die auf seiner Plattform auftauchten. Dass die beim Verkauf auf einmal nicht mehr verfügbar waren, habe nicht nur dem Image geschadet, sondern auch Kosten verursacht, weil Entschädigungen gezahlt werden mussten. Außerdem seien Verkäufer und Nutzer unter falschem Namen angeschrieben worden, um deren Kontaktdaten zu bekommen.
“Wir haben über die IP-Adressen herausgefunden, dass die Transaktionen auf unserer Seite über Rocket Internet gelaufen sind”, erklärt Altineller. Man weiß mittlerweile überall, das sie kein ehrliches Unternehmen sind”, so der türkische Unternehmer weiter. “Ich würde Rocket Internet am ehesten so beschreiben: Sie sind hinterhältig und aggressiv.” Samwer bestreiten den Datenklau im ZDF-Interview allerdings: Sein Unternehmen sei einfach deshalb erfolgreich, weil man fleißig sei.
StudiVZ-Gründer fühlt sich von Oliver Samwer über den Tisch gezogen
In Deutschland wirf Ehsaan Dariani, Gründer von StudiVZ, Oliver Samwer vor, ihn über den Tisch gezogen zu haben und von der weiteren Entwicklung des von ihm gegründeten Unternehmens ausgeschlossen worden zu sein. Auch das bestreiten Samwer und dessen damaliger Geschäftspartner Holtzbrinck: Die Ansprüche von Dariani seien “vollständig bedient” worden.
Dariani warnt trotzdem: “Jede Wissenslücke wird ausgenutzt. … Der Wissensvorsprung, den sie haben, ist nicht zu vergleichen mit dem, den auch der schlauste Gründer haben kann” – schließlich hätten die Samwers Firmen bereits dutzende Firmen ge- und verkauft. Sein Fazit: “Vertrauen ist fehl am Platz.”
Das sieht im Grunde auch Wirtschaftswissenschaftler Professor Rudolf Hickel von der Universität Bremen so. Ihn hat Frontal21 in Bezug auf den gerüchtweise anvisierten Börsengang von Rocket Internet befragt. Hickel kritisiert den Plan, das Unternehmen an den Open Market zu bringen, als ein “ganz schlechtes Beispiel dafür, auf seriöser Basis Kapital für das Unternehmen zu gewinnen”. Hickel weiter: “Gerade bei einem Unternehmen, dessen Geschäftsgeheimnis geradezu darin besteht, extrem geheimnisvoll zu sein, muss eigentlich gerade beim Börsengang mehr auf den Tisch gelegt werden.”
Tipp der Redaktion: Nach Ansicht des Unternehmensberaters Darius Moeini schöpfen viel zu wenig Gründer die abseits von VC- und Business Angel-Kapital vorhandenen Finanzierungsmöglichkeiten aus. Im Expertenbeitrag für ITespresso zeigt Moeini zehn lohnenswerte Alternativen auf, wie Start-ups mit ganz unterschiedlichem Hintergrund an Kapital gelangen können.