»Deutschland ist ein Low-Context-Land«
Der Münchner Professor Alois Moosmüller ist einer der Pioniere der interkulturellen Forschung in Deutschland. Die Disziplin, die ursprünglich an US-amerikanischen Universitäten eingeführt wurde, ist erst seit den 90er Jahren in Deutschland präsent.
Seit 1997 hat Moosmüller eine Professur für interkulturelle Kommunikation an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität inne. Der Studiengang, der früher gerne einmal mit Völkerkunde verwechselt wurde, beschäftigt sich auch intensiv mit den kulturellen Unterschieden bei der digitalen Kommunikation. Denn Webseiten oder E-Mails können nur erfolgreich sein, wenn sie auf die kulturellen Gepflogenheiten des Empfängers Rücksicht nehmen.
Im Interview spricht Moosmüller über internationale E-Mail-Sitten, das Design von Webseiten und die Nachteile von Videoconferencing.
Die Wirtschaft im Zeitalter von Internet, E-Mail und Business-Englisch wird immer globaler und internationaler. Spielen da kulturelle Unterschiede überhaupt noch eine Rolle?
Ja, sicher. Je globaler desto wichtiger auch das Lokale. Wenn im Großen Einheit herrscht, dann wollen die Menschen im Kleinen Unterschiede und das gilt auch für Unternehmen.
Die großen Städte und Länder der Welt konkurrieren miteinander um hochqualifizierte Arbeitskräfte. Dabei sollten doch unterschiedliche Kulturen nicht wichtig sein.
Ganz im Gegenteil. Kulturelle Differenz ist im Wirtschaftsleben eine Notwendigkeit, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Internationale Berater haben Bewertungsskalen entwickelt, um die Attraktivität der Städte zu messen und zu vergleichen. Dabei spielt die Toleranz gegenüber kultureller Vielfalt eine herausragende Rolle.
E-Mails werden häufig schnell und flüchtig geschrieben? Gibt es Unterschiede zwischen den Ländern?
In den verschiedenen Ländern scheinen sich recht unterschiedliche E-Mail-Gepflogenheiten herausgebildet zu haben, was eigentlich erstaunlich ist, weil der internationale Verkehr ja doch einen recht großen Teil ausmacht. Zum Beispiel wäre zu erwarten, dass sich im internationalen Verkehr eher die amerikanischen E-Mail-Standards durchsetzen, also die schnörkellos direkte Anrede mit dem Vornamen, ohne »Lieber« oder »Hallo«, ohne einleitende Floskeln, kurz und direkt. Sie nutzen damit die dem Medium inhärente Geschwindigkeit auch im Schreibstil so gut wie möglich.
Und die Deutschen?
Deutsche Geschäftsleute, die international ja eigentlich gerade für ihre sehr direkte Art der Kommunikation bekannt sind, ziehen es in E-Mails vor, etwas ausschweifender und höflicher zu formulieren.
Japanische »sarariman« (salarymen) finden es selbstverständlich, eine Mail erst mit ein, zwei Sätzen zu beginnen, die sich nach dem Befinden des Partners erkundigen oder einen Dank für eine früher erfahrene Zuwendung auszudrücken.
»Kulturelle Differenz verschafft Wettbewerbsvorteile.« Kulturforscher Alois Moosmüller von der Uni München
Bei so unterschiedlichen Sitten tritt man sicher leicht ins Fettnäpfchen …
Es ist gut, solche Gepflogenheiten zu kennen. Dennoch glaube ich, dass es nicht so schlimm ist, »Fehler« zu machen. Entscheidend ist, eine gewisse Sensibilität und Lernfähigkeit mitzubringen, die es einem ermöglicht, den Stil zu ändern. Besonders interessant ist es, wenn im internationalen E-Mail-Verkehr neue, sozusagen hybride Gepflogenheiten, kreiert werden.
Hybrid? Können Sie ein Beispiel geben?
Wenn ein Amerikaner eine E-Mail mit schnörkelloser direkter Anrede beginnt, aber sich in den ersten zwei Sätzen erst mal nach dem Befinden des Empfängers erkundigt.
Viele Unternehmen präsentieren sich auch im Ausland auf einer Webseite. Wie findet man heraus, worauf man in einem Land zu achten hat?
Die Nutzer in den jeweiligen Ländern sind bestimmtes Design gewohnt und insofern ist eine landesspezifische Anpassung von Vorteil. Die lässt man am besten von einer lokalen Agentur vornehmen. Es gibt natürlich auch Bereiche, in denen gerade eine gewisse Fremdheit und Exotik gewünscht wird.
Vor zehn Jahren war es ja üblich, sich in allem möglichst perfekt an lokale Gepflogenheiten anzupassen, das wird heute durchaus differenzierter gesehen. Wer sich ein Bild über kulturelle Eigenarten in bestimmten Ländern und Regionen machen will, nimmt am besten einen der vielen »How to ..«-Kulturführer zur Hand. Die erklären einfach verständlich, wenn auch oft recht holzschnittartig, worauf man achten muss.
Kommen wir nochmal auf die Unterschiede zurück. Wie sehen die konkret aus?
Seit etlichen Semestern untersuchen Studenten bei meinem Kollegen Marc Hermeking die Webseiten von Firmen in verschiedenen Ländern. Interessant ist beispielsweise der höhere Bildanteil in High Context- und der höhere Textanteil in Low Context-Ländern.
Was heißt das genau?
Das wollte ich gerade erklären. High Context (HC) bezeichnet Kulturen, in denen die Menschen gut informiert sind und einen intensiven Info-Austausch pflegen. Sie kommunizieren schneller, indirekter und sprechen mehr in Andeutungen.
Bei Low Context-Ländern sind Informationen stark kanalisiert und expliziter. Man ist weniger neugierig und Informationen werden nicht so stark aus dem Kontext herausgelesen.
Welche Folgen hat das für die Webseiten, etwa von Firmen?
Webseiten in HC-Ländern sind tendenziell sehr komplex gegliedert. Die Webseiten in LC-Ländern sind dagegen eher einfach aufgebaut.
Auf Seite 2: Videoconferencing ist für manche eine Qual
Wie steht es mit dem Einsatz von Multimedia-Elementen?
Da haben Kollege Hermeking und seine Studenten auch interessante Dinge zu Tage gefördert. In HC-Ländern werden Animation, Videos und Audio-Elemente intensiv genutzt. In LC-Ländern dagegen dominiert oft nur stummer Text.
Von diesen Tendenzen gibt es natürlich je nach Branche, Zielgruppe etc. viele Ausnahmen, aber so als Faustregel kann man schon solche Unterschiede feststellen.
Jetzt müssen Sie uns nur noch verraten, ob Deutschland ein HC- oder ein LC-Land ist?
Deutschland gehört wie die nordeuropäischen Länder, die Schweiz und mit Einschränkungen auch Nordamerika in die Kategorie Low Context.
Länder aus der Kategorie High Context wären zum Beispiel Italien, Frankreich, China oder Brasilien.
Die Webseite der Deutschen Bank in Abu Dhabi und in Sri Lanka. In 51 Ländern das selbe Design.
Was halten Sie von Video- oder Teleconferencing? Da ist es ja heute schon möglich, Konferenzen mit ganzen Teams aus verschiedenen Ländern zu halten.
Für Personen, die mit diesem Medium sehr erfahren sind und die sich im Englischen sicher bewegen können, ist es ok. Für andere dagegen eine Qual. Für Menschen, die aus Ländern kommen, wo explizit, ausführlich und strukturiert diskutiert wird, ist es eher einfach.
Für jene, die gerne durch die Blume zu reden und einen lebendigen Diskussionstil gewohnt sind oder, die im Gegenteil einen sehr passiven Diskussionsstil gewohnt sind, ist es dagegen schwierig.
Generell kann gesagt werden: Je wichtiger in der Kommunikation der Faktor Mensch ist, je weniger ma
n also auf den lebendigen Gesamteindruck, der im physischen Miteinander erzeugt wird, verzichten kann, desto schwieriger ist es, die Teamzusammenarbeit mit technischen Mitteln wie Videoconferencing zu gestalten.
Warum ist die Videotechnik da ein Hindernis?
Der Mensch möchte in einer Kommunikationssituation möglichst alle sensorischen Möglichkeiten ausschöpfen, die ihm helfen, andere Menschen einzuschätzen. Denn davon hängt ja der (Ver-)Handlungserfolg ab. Die virtuelle Kommunikation beschneidet diese Möglichkeiten erheblich. Man muss erst lernen, mit dieser Limitierung so umzugehen, dass der eigene Elan, die Lust am Zuhören und am Diskutieren nicht verloren gehen.
Danke für das Gespräch.
(Mehmet Toprak)
Weblinks
Institut für Interkulturelle Kommunikation
Interkulturelle Seminare