Interview: »Die IT-Technik ist zu komplex«
Wenn das häufig zitierte Wort vom »Vordenker« auf jemanden zutrifft, dann auf Gunter Dueck. Als Chief Technologist bei IBM berät er das Unternehmen zu neuen Technologien und Strategien.
Eine der Hauptthesen von Gunter Dueck: Die Infrastrukturen der physischen Welt und die der digitalen Welt verschmelzen miteinander. So entsteht eine »smarte« Welt, in der Produkte und Techniken aus allen Bereichen miteinander vernetzt sind. Für Unternehmen fordert Dueck eine Kultur des fließenden Anpassens. Diese soll an die Stelle der einseitigen Fokussierung auf Projekte treten.
Dueck ist Mitglied der IBM Academy of Technology. Deren Mitglieder erstellen strategische Studien für die Zukunft von IBM und beraten das Management. Außerdem ist er auch als Buchautor erfolgreich (»Abschied vom Homo Oeconomicus«).
Das Interview wurde per E-Mail geführt.
eWEEK: Die Bundesregierung will im zweiten Konjunkturpaket den Ausbau von Breitband-Internetzugängen in Deutschland vorantreiben. Was halten Sie davon?
Professor Dueck: Das habe ich im Vorfeld des IT-Gipfels immer selbst gefordert! Eine Rede dazu ist im Netz oder auf meiner Homepage zu finden. Ich freu mich darüber sehr, auch persönlich, weil mein Wohnort Neckargemünd leider noch nicht zur Welt im engeren Sinne gehört. Ein paar Kilometer neben der Elite-Uni Heidelberg ist schon IT-Diaspora.
Auf der CeBIT wird viel über Webciety diskutiert. Wie beurteilen Sie den Trend, social networks zunehmend in die Unternehmensstrategie einzubinden?
In meinem Kalender steht, dass ich auf einer solchen Veranstaltung auf dem Podium sitze. Ich selbst habe bei der IBM die »Bluepedia« eingeführt, bzw. Mitarbeiter dafür begeistert. Wie in einer Wikipedia schreiben schon knapp 1000 IBMer daran. Ich finde Ihre Frage witzig, weil Sie indirekt meinen, das Ganze als Unternehmensstrategie sehen zu können. Meinen Sie das echt so?
Naja, Firmenmanager wollen gerne alles im Griff haben.
Mit Aufpassern, Qualitätsmanagement und Vorgaben der Artikelzahl pro Woche? Web 2.0 machen bei uns nur die »Mitarbeiter 2.0«, einfach so. Weil wir das gut finden.

»Ich finde Ihre Frage witzig. Meinen Sie das echt so?« Gunter Dueck, Chief Technologist bei IBM.
Sie kritisieren den »Projektizismus« in vielen Unternehmen. Was meinen Sie damit? Was ist für Unternehmen die Alternative? Könnten Sie ein Beispiel geben?
Dach ausbessern oder Kühlschrank reparieren ist ein Projekt. Aber das Hineinwachsen der Unternehmen in so etwas wie ein Enterprise 2.0 ist ein Kulturwandel, den nicht eine Strategie-Truppe von Change-Agents in ein paar Brainstormings hinbekommt.
Wer dann?
Verschiedene punktuelle Veränderungsprojekte führen zu lokalen Erfolgen, aber sie verbinden sich nicht zu einer ganzen Kulturbewegung. Kulturen ändert man nicht mit auch noch so vielen Einzelprojekten.
Die Idee, alles als Projekt durchzuziehen, ist eine Idee der Effizienz, keine der Kultur. Projekte optimieren lokal, nicht global. Die Ideologie, auch Kulturwandel als Projekt zu sehen, habe ich mit »Projektizismus« beseufzt.
Lesen Sie auf Seite 2: Kulturwandel in Unternehmen
Wie sieht dieser Kulturwandel aus Sicht des Firmenmanagements aus?
Die Veränderung muss erstrebenswert und selbstverständlich gesehen werden, und ich denke, dass die Mitarbeiter gut 15 bis 20 Prozent der Zeit an so etwas arbeiten müssten. Wie sonst sollte es gehen? Wer aber die Brille von Auslastung und »Utilization« sieht, will das ganz sicher nicht.
Aber andererseits muss das Managament auch konkrete Ziele setzen …
Ja, aber Evolution bedeutet fließendes Agierendes, nicht ein Reagieren unter Druck. Wenn Sie in überstressten Unternehmen erlauben, dass Mitarbeiter ein bisschen Innovation machen dürfen, kommen sofort ziemlich viele Trittbettfahrer und deklarieren Künstlerpausen für Innovation.
In vielen überstressten Unternehmen wird die Mitarbeit in Change, Evolution, Research oder Innovation als »easy« oder wie »im grünen Bereich« gesehen – nicht als entscheidende Arbeit. Wie also stellen Sie sicher, dass die Richtigen daran hart arbeiten? Sehr schwierig.
In Ihrer Präsentation »Smarter Planet« beschreiben Sie eine Zeit, in der alle Produkte und Techniken »smart« werden und alles miteinander vernetzt ist. Da besteht doch die Gefahr, dass die Technik zu komplex, zu fehleranfällig und letztlich unkontrollierbar wird.
Sie ist JETZT schon zu komplex. Die Ausgaben für IT-Administration explodieren, überall stehen ungenutzte Server herum, oft hat ein Unternehmen nach unseren Untersuchungen ein Drittel mehr Rechner und SW-Lizenzen mehr, als es glaubt. Und wahrscheinlich sind da noch Daten drauf, die später in der Zeitung stehen.
»Smart« beginnt erst einmal mit dem Aufräumen. Stichwörter: Server-Konsolidierung, Storage-Virtualisierung, Applikations-Konsolidierung, Services-Management, Assetmanagement, Green-IT! Alles zielt auf »einfacher«!
Und wir schaffen beeindruckende Verbesserungen in allen den genannten »Vereinfachungssparten«. Ich will damit gar nicht sagen, wie gut wir bei IBM sind, das sind wir auch. Aber es ist so sehr komplex geworden, dass Aufräumen richtig etwas bringt.

»Die smarte Strategie beginnt erst einmal mit dem Aufräumen«, meint Gunter Dueck.
Sie stellen die These auf, dass die digitalen und die physikalischen Infrastrukturen verschmelzen. In welchen Bereichen wird das zuerst geschehen?
Alle Dinge haben bald eine IP-Adresse. Ich bekomme dann zum Beispiel eine monatliche Stromrechnung, die den Verbrauch jedes Einzelgerätes in meinem Haus auflistet. Können Sie mir glauben, dass wir nur durch das Anschauen der Rechnung und ein paar Handgriffen locker 15 Prozent aller Weltenergie einsparen können? Sie sparen doch auch soviel durch das Anschauen der Handy-Rechnungen Ihrer Kinder?
Oder: Ich kann Mode-Ersteigertes bei Ebay anhand der eingenähten IP-Adresse in einem RFID authentifizieren. Oder: Rechnungen kommen wie ein Parkhausticket. An den Computer halten, Fingerabdruck zeigen – bezahlt und schon verbucht oder dem Finanzamt gemeldet, Buchführung also inklusive …
Könnten die Hightech-Learning-Tools, die Sie fordern, auch beim Thema Mitarbeiterschulung oder Fortbildung in Unternehmen eine Rolle spielen?
Hmmh, da gibt es viele Versuche. Ich sehe das Mega-Problem, dass die IT sich zu sehr wandelt. Es lohnt sich also nicht. Alles ist schon bei Erscheinen veraltet. Seien Sie also nicht zu euphorisch. Lassen Sie uns beim Normalen anfangen.
Wenn irgendwann einmal ein Großteil der Geräte und Gebrauchsgegenstände am Internet hängt, sehen Sie das Risiko, dass unkontrollierte Effekte entstehen, die sich im Netz fortpflanzen?
Vielleicht. Aber wir können die Gefahren nur in den Griff bekommen, wenn wir um sie wissen. Und warum – das finde ich ganz herb – beseitigen wir nicht die Gefahren, die da sind? Alkohol am Steuer, Ladendiebstahl oder Sorglosigkeit von Finanzinstituten? Antwort: Wir leben damit. Und wir leben auch heute schon mit Systemausfällen aller Art. Trotzdem wird das Leben doch jeden Tag ein bisschen besser, wenigstens in dieser Beziehung?
Lesen Sie auf Seite 3: Was Unternehmen in Zukunft brauchen
Wie muss sich ein Unternehmen heute aufstellen, um Trends und Zusammenhänge richtig zu erkennen und schnell umsetzen zu können?
Das Unternehmen muss ein Herz haben, einen Willen und Zuversicht. Heutige Unternehmen haben leider nur einen scharfen Verstand und helfen sich eher mit Gerissenheit. Herz wird gefragt sein!
Infrastrukturen haben längere Entwicklungs- Lebensdauerzyklen als Hightech-Produkte und können deshalb mit der Entwicklung nicht Schritt halten. Deshalb sind sie auch schwerer planbar. Wie geht man mit diesem Dilemma um?
Ich bin ja in der IBM der »Leader Dynamic Infrastructure«. Wir wollen Infrastrukturen dynamisieren und so planen, dass heutige Strukturen in künftige hineinwachsen. Wir wollen sie eben nicht dauernd neubauen! Wir wollen den Umgang mit der Zukunft professionaliseren.

IBMs Academy of Technology hat mehr als 300 Mitglieder weltweit und kümmert sich um die technologische Weiterentwicklung des Unternehmens.
Wenn es tatsächlich einmal soweit ist, dass digitale und physikalische Infrastrukturen verschmolzen sind, und das »Internet der Dinge« Realität ist, was ist dann die nächste Herausforderung?
Die letzte große Strukturrevolution war die der Autos, Autobahnen und Flughäfen. Technisch gesehen hätten mich damals Journalisten gefragt: »Was kann man mit Autos anderes machen als fahren?« Und ich hätte sagen können: »Viele Länder der Welt werden vollkommen neu gestaltet werden – für den Tourismus.«
Oder: »Deutschland wird einen großen Aufstieg schaffen, weil nun der Export viel einfacher geht.« Oder: »Die Landwirte werden verschwinden, nur die Landwirtschaft nicht.« Haben wir damals so weit gedacht? Ich glaube nicht.
Der Versuch, weiter voraus zu denken, ist doch legitim …
Ja, aber wir sehen als Technologen nur die Technologie, nicht das ferner Liegende, was aus der Technologie heraus am Rande entsteht. Ich schreibe ab und zu einmal Ketzerisches … dass zum Beispiel bald Avatare konkurrenzlos schöner sind als wir selbst. Gibt es dann keine Menschen als Schauspieler mehr? Lieben wir dann andere Menschen noch wie Du und Ich? Wie verändert sich das Soziale?
Wenn ich solche Dinge andiskutiere, lächeln alle. Immer! Sehen Sie, man kann kaum den ernsten Versuch unternehmen, die Welt von morgen zu sehen. Das macht unter stöhnendem Kopfschütteln und ständigem Aufschrei nicht so richtig Freude.
Danke für das Gespräch.
(Mehmet Toprak)