IT ist ungesundUnternehmen brauchen Gesundheitsmanagement
Projektarbeit: Zerrieben beim Kunden
Zum Beispiel Projektarbeit. Sie ist einerseits die übliche Arbeitsform in der Branche. Andererseits schafft sie neue Gesundheitsrisiken. So entstehen während der Arbeit an einem Projekt beim Kunden oft neue Anforderungen, deren Erledigung man in den Zeitrahmen hineinquetscht, ohne dass der Abgabetermin weiter nach hinten rückt.
Folge: Wochenendarbeit. Oder Entwickler können ihre Systeme aufgrund fehlender Kompetenzen nicht ausreichend testen. Oder sie zerreiben sich zwischen zwei Chefs: Dem Projektleiter beim Kunden und dem eigenen.
Das nagt an Gesundheit und Psyche, wie aktuelle Untersuchungen belegen. So leiden IT-Mitarbeiter viermal so häufig unter psychosomatischen Beschwerden wie der Durchschnitt der Beschäftigten in Deutschland.
Nach einem Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse aus dem Jahr 2007 liegt der Gebrauch von Antidepressiva bei IT-Beschäftigten um 60 Prozent höher als beim Durchschnitt der Beschäftigten. Und wenn es im Urlaub nach dem gleichen Muster weiter geht – Aktivurlaub mit Abenteuer-Qualität plus Blackberry für die aktuellen E-Mails – droht irgendwann ein Burnout.
Insgesamt gibt es derzeit aber noch sehr wenig Untersuchungen über den Gesundheitszustand der IT-Branche und darüber, wie man die Überforderungen zurückschrauben kann, sagt Ursula Kreft, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „ITG – Präventiver Gesundheitsschutz in der IT-Branche“ gegenüber IT im Unternehmen. In einem Arbeitspapier wurden zunächst die vorhandenen Untersuchungen zusammengestellt.
Projektpartner des von der EU und dem BMBF geförderten Projekts sind das Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikberatung (RISP) und das Berufsfortbildungswerk des DGB Rhein-Ruhr.
In der letzten Woche ist die Webseite online gegangen. Dort sieht man ihn, den Homo-Informatikus inmitten seiner „ergonomischen Projekthölle“ mit zwei Tastaturen auf den Knien.
Langsame Schritte zum umfassenden Gesundheitsmanagement
Was können die im Projektgeschäft Zerriebenen tun? „Ein schlichtes Rezept gibt es in dieser hoch komplexen Angelegenheit nicht“, sagt Kreft.
Aktivitäten müssen auf unterschiedlichen Ebenen liegen. Dass Bewegung und gesunde Ernährung wichtig sind, ist allen wohl bekannt. Nützt aber oft nichts, da viele IT-Menschen, die in voll gestopften Projekten stecken, ihre persönliche Fitness wider besseres Wissen zurückstellen.
Der Einzelne sollte untersuchen, ob er seinen Handlungsspielraum wirklich ausgeschöpft hat, der es ihm ermöglicht, sich dem wachsenden Druck zu entziehen und auch mal „Nein“ zu sagen, so Kreft.
Stressfaktoren liegen auch in der Organisation der Arbeit, in der ständigen Erreichbarkeit der Mitarbeiter, auch im Urlaub. Darüber hinaus werden Projekte zunehmend in sehr kleine Module zerhackt mit dem Ziel, einige dieser Teile außerhalb des Unternehmens irgendwo im Ausland billiger erledigen zu lassen.
Kreft sieht hier eine Re-Industrialisierung der Wissensarbeit, die den hiesigen Mitarbeitern den Blick auf den Gesamtzusammenhang eines Projektes verstellt. Gleichzeitig werden die Mitarbeiter in der IT-Branche älter. Trotz Fachkräftemangel steigt die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren.
Aber: „Die Bereitschaft von Seiten der Unternehmensleitungen ist hoch, die Situation zu verbessern“, betont Kreft.
Das Projekt „ITG – Präventiver Gesundheitsschutz in der IT-Branche“ arbeitet derzeit mit sechs Unternehmen zusammen, darunter mit drei großen: Agravis Raiffeisen AG, Siemens IT Solutions and Services, Standort Paderborn und Westfalia Separator GmbH.
Am weitesten ist man bei Agravis. Dort haben Beschäftigte, Betriebsrat und Unternehmensleitung gemeinsam im Rahmen des EU-Projekts Fragebögen entwickelt, um die Gesamtsituation im Betrieb aufzunehmen – ein ganz wichtiger Prozess zur Bewusstmachung, meint Kreft. Auch der Rücklauf sei riesig gewesen – die Auswertung läuft noch. Nun habe man sich im Unternehmen dafür entschieden, das Gesundheitsmanagement auszubauen, um zu nachhaltigen Ergebnissen zu kommen. Denn: „Einzelnaßnahmen wie einmal Rückenschule in der Woche reichen nicht“, so Kreft.
Bis 2010 will man Handlungsempfehlungen für Unternehmen herausbringen. Aber Patentrezepte wird es auch hier nicht geben.