Bill Gates ist Fidel Castro
El máximo líder
Die virtuelle Bananenrepublik
Bill Gates ist Fidel Castro
Bilde ich mir das nur ein oder sehen Sie das auch? Starten Sie doch bitte mal Ihren PC. Da kommt das Windows-Logo. Es sieht aus wie eine Flagge, und jetzt ertönt auch eine Melodie. So eine Art Nationalhymne. Mütze runter! Willkommen im Staate Windows XP, der virtuellen Bananenrepublik im 19-Zoll-Format. Windows ist Kuba, Bill Gates ist Fidel Castro und gemeinsam sitzen wir alle tief im Schlamassel.
Auf die Idee haben Sie, liebe Leser, mich gebracht. Vorausgesetzt, Sie haben den Promi-Fragebogen in Ausgabe 1 ausgefüllt. Darin steht, was Leser am PC nervt und was Spaß macht. Vielen Dank fürs Ausfüllen!
Die meisten Leser finden das »farbenfrohe, bedienfreundliche Windows« gut wenn da nicht die vielen Macken wären: das langsame Booten, der laute PC-Lüfter, die ständigen Updates und Service-Packs, die Abstürze. Wie auf dem schönen Kuba, da solls ähnlich zugehen. Das langsame Booten gleicht dem schwerfälligen Dieselaggregat in der Zuckerrohrfabrik. Der laute Lüfter ist der lärmende Zweitakter am Fischerboot. Alte Technik eben. Bluescreens und Systemkonflikte kennt man auch: Mal flackert das Licht, mal leckt die Wasserleitung, mal fehlts am Nachschub. Dann haben die Zigarrendreher Pause.
Wer sich beschweren will, sollte das besser leise tun. Sonst kreuzen schnell die Herren von der Staatssicherheit auf und fragen, ob alles genehm ist. Sowas gibts auch bei Windows. Das sind all die Assistenten, Agenten, Wizards und die speziellen Phone-Home-Freunde, die ungefragt und penetrant anwenderfreundlich im System herumschleichen. Die typische Geheimniskrämerei autoritärer Regimes ist ebenfalls ein Markenzeichen von Microsoft, denn kein Normalsterblicher darf den Quellcode von Windows einsehen. Dementsprechend mies ist die Stimmung beim Windows-Volk.
Auf die Frage, welche Nachricht sie gerne lesen würden, antworten viele: »Bill Gates pleite« oder »Microsoft meldet Konkurs an«. Für uns Windows-User ist Bill Gates eine Art Fidel Castro des Desktops. Windows hat übrigens auch seine »Exil-Kubaner«, die sichs gut gehen lassen und immer auf den »máximo líder« schimpfen: die Mac-User. Nicht zu vergessen die Flüchtlinge, die sich bei Nacht und Nebel mit einem selbst gezimmerten Boot davonmachen, aber nirgendwo glücklich werden: die Linux-User.
Doch weiter im Tagebuch der Revolution. Die Kubaner, so steht es im Reiseführer, lassen sich von widrigen Umständen ihre Lebensfreude nicht nehmen. Das gilt auch für Windows-Nutzer. Laut Fragebogen haben viele Spaß daran, Bilder am PC zu bearbeiten, Texte in Word zu schreiben, mit Firefox zu surfen oder die Hardware zu tunen. Einer plant, mit dem Joystick durch lange Word-Texte zu cruisen. Trotz Update-Stress und Service-Pack-Gestümper geben wir die Hoffnung nicht auf. Viele Leser freuen sich auf den PC der Zukunft: Spracherkennung, holografische Displays, 4-GHz-Rechner am Handgelenk, Terahertz-Server für jeden Straßenzug.
Wie kommen wir aus dem Schlamassel raus? Kubaner müssen wohl auf die Zeit nach Castro warten. PC-Anwender können vielleicht selbst was tun. Dazu brauchen wir zuerst eine kleine Revolution von unten. Wir Anwender sollten beim Kauf ein bisschen mehr Rückgrat zeigen. Der Run auf die neueste Software-Version mit den meisten Features bringt nicht mehr Produktivität, sondern bestätigt nur das Vorurteil der Software-Bosse, dass intelligente Produkte keine Käufer finden. Und wer sich den fetten Aldi-PC für 999 Euro kauft, dabei 10 Euro spart und dann 50 Euro ausgibt, um die Höllenmaschine wieder leise zu kriegen, der ist höchstens ein Salon-Revoluzzer. Microsoft sollte den Elan der Gründerjahre wiederbeleben. El Commandante Gates könnte damit anfangen, ein altes Versprechen aus dem Jahr 1996 einzulösen: den schnell bootenden PC..