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Kriegt Bill Gates rechtzeitig die Kurve?

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Wie wär´s mit etwas Mitgefühl für Microsoft? Nun gut, verständlich, wenn Sie nicht willens sind, einer Firma, die über 60 Milliarden Dollar Cash verfügt und seine herausragende Marktposition in den Vereinigten Staaten und in Europa missbraucht haben soll, ihr Mitleid zu bekunden.

Doch die Tatsache, dass der Software-Riese wenig Freunde hat, ist nicht der Grund, warum das Unternehmen in den nächsten Jahren in Schwierigkeiten geraten wird.

Redmond steht eine umwälzende Strukturveränderung bevor, nicht unähnlich dem Wandlungsprozess, den IBM in den frühen 1990ern durchstehen musste, nachdem der vormalig gut laufende Markt für Mainframe-Systeme vom Aufblühen des Personalcomputers unterminiert wurde.

Die ersten Risse sind schon sichtbar. Longhorn, die nächste Windows-Version, wurde von Microsoft-Sprechern als das wichtigste Release seit Windows 95 angepriesen, mit neuer Betriebssystem-Architektur. Doch letzte Woche konnten wir lesen, dass eine der herausragendsten neuen Komponenten, das WinFS-Dateisystem, nicht mehr in Longhorn integriert sein wird. Seine Entwicklung war durch den Zusatzaufwand gestoppt worden, den Microsoft in weitere Sicherheitsfunktionen für das XP Service Pack 2 stecken musste, und kann erst zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werden.

Freilich wird vielfach die Auffassung vertreten, Microsoft habe nur das getan, was es schon immer hätte tun sollen, nämlich die Produktsicherheit zu einem zentralen Ansatz bei seiner Softwareentwicklung zu machen.

Bei Microsoft stand das Erfolgsstreben schon immer unter dem Motto: “Hey, das ist Klasse, lasst uns das in Windows einbauen…”. Der Fokus bei der Entwicklung wurde von je her auf neue Features gelegt, und noch ein paar, und hier noch einige Extras…. Microsofts eifrige Programmierer hatten freie Hand, Windows so gut es ging mit Funktionen vollzustopfen. Qualitätsentwicklung war ein Faktor, aber nicht der wichtigste. Man ging davon aus, dem PC-Benutzer ruhig ein paar Bugs aufs Auge drücken zu können, wenn er dafür all die wunderschönen Features bekommt – zu einem vernünftigen Preis.

Doch dann kam das Internet, und alles wurde anders. Plötzlich waren Millionen von PCs der bösen weiten Welt ausgesetzt, ohne Schutz vor Schurken, Hackern und verantwortungslosen Technikfreaks. Und so wird auch Microsoft seine Strategie der Softwareentwicklung gründlich in Frage stellen müssen. Die Entwickler werden es mit so nervtötenden Dingen wie Tests, Tests und noch mal Tests zu tun kriegen, bevor es dann ans Testen geht und das Ganze mit einem letzten Test abgeschlossen wird.

Wer meint, das sei alleine für Microsoft ein Problem, der irrt. Kein Software-Hersteller der Welt hat bisher aus den Bugs in seinen Produkten einen Hehl gemacht. Aber nicht jeder Software-Hersteller hat eine so exponierte Stellung wie Microsoft, und so mancher dankt dafür dem Lieben Gott!

Keiner sollte daran zweifeln, dass Microsoft die Sicherheit sehr ernst nimmt. Das hat es mit seiner Entscheidung, bei einem so wichtigen Produkt wie Longhorn Abstriche zu machen, deutlich gezeigt. Aber das Unternehmen kämpft gegen seine eigene Hinterlassenschaft: ein enormes, monolithisches Betriebssystem, das im Lauf der Jahre organisch gewachsen ist und in dieser Form heute nie mehr entwickelt würde. Keiner würde dort ansetzen, wo Microsoft heute steht, würde er dorthin kommen wollen, wo Microsoft hin will…

PCs sind nichts anderes als Ware für Kunden. Wer würde schon eine Stereoanlage wollen, die jeden Monat nach frischer Software verlangt? Redmond bemüht sich um neue Möglichkeiten, das Bug-Fix-Problem zu bewältigen – die automatische Update-Funktion in XP ist ein Beispiel. Doch dabei wird übersehen, in welcher Weise ein unbedarfter Konsument seinen PC nutzt. Ein Freund von mir kaufte sich unlängst einen brandneuen PC mit XP. Als er ihn das erste Mal anschaltete und an das Internet anschloss, teilte ihm die Update-Funktion mit, es seien 32 MByte Patches downzuloaden. Doch PC-Privatnutzer interessiert das einfach nicht. Folglich bleiben ihre Maschinen ungeschützt, werden von Hackern angegriffen und jeder schimpft wieder mal auf Microsoft.

Ein Software-Produkt zu verändern ist eine Sache, die Einstellung von Softwareentwicklern zu verändern eine ganz andere. IBM hat dazu 10 Jahre gebraucht und hat es auch nur geschafft dank eines Außenseiters: dem ehemaligen Geschäftsführer Lou Gerstner, der sich bereit erklärt hatte, den Status quo kritisch zu hinterfragen und nicht davor zurückschreckte, kontroverse Veränderungen durchzusetzen. Gibt es bei Microsoft jemand Vergleichbaren? Und kann das Unternehmen, das sich in Marktbereichen wie Mobiltelefonie, Breitbandtechnik, digitales Fernsehen, Handhelds und Home Entertainment gegen die Konkurrenz behaupten muss, überhaupt diesen fundamentalen Wandel vollziehen und zugleich mit dem technologischen Fortschritt Schritt halten? Ja, das kann es, 60 Milliarden US-Dollar reichen aus. Die Auswirkungen auf die Produktentwicklung der Zukunft wird markant sein und könnte Microsofts Beziehungen zu den IT-Bossen dieser Welt entscheidend verändern.

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