Freies WLAN für alle ist besser, als Frequenzen zu versteigern

Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) schlagen vor, zur Deckung des rasch zunehmenden Bedarfs an drahtlosem Datentransfer bestimmte, frei werdende TV-Frequenzen nicht an Mobilfunkbetreiber zu versteigern, sondern als Allgemeingut zu behandeln und für den dezentralen Ausbau von WLANs zu verwenden. Ihre Vorstellungen haben Arnd Weber und Jens Elsner in der aktuellen Ausgabe des Fachblattes Telecommunications Policy ausführlich dargelegt.
Arnd Weber vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des KIT und Jens Elsner, früher Mitarbeiter des Communications Engineering Lab des KIT, schlagen darin vor, die Frequenzen für freie Kommunikation auch auf Bereiche unter 2 GHz zu erweitern und die erlaubte Leistung zu erhöhen. Diese Bänder werden ihnen zufolge immer weniger für die Übertragung von Fernsehsignalen genutzt und eignen sich besser, um Signale auch durch Hindernisse wie Mauern zu übertragen.
Mit automatischer Anpassung der Sendeleistung, die erforderlich wäre, um Störungen zu vermeiden, könnten WLAN-Netzwerke so je nach Umgebung sogar Verbindungen über mehrere Kilometer herstellen. In Städten, wo aufgrund der Vielzahl der Sendestationen die Sendeleistung stark begrenzt werden müsste, könnte die Reichweite dennoch ausreichen, um beispielsweise Passanten in umliegenden Straßenzügen den Datentransfer mittels Smartphones zu ermöglichen.
“Die Realisierung unseres Ansatzes hätte weitreichende Folgen. Personen, Institutionen und Unternehmen wären bei ihrer digitalen Kommunikation in viel geringerem Maße auf teure Mobilfunknetze angewiesen. Darin sehen wir nicht zuletzt auch einen großen gesamtwirtschaftlichen Nutzen”, so Arnd Weber. Allein die Öffnung der derzeit zur Verfügung stehenden WLAN-Frequenzen im vergangenen Jahrhundert habe zu einem erheblichen Innovationsschub geführt. Als Beispiele nennen die Wissenschaftler neben drahtlosen Computernetzwerken auch kabellose Lautsprecherboxen und Kameras, Garagenfernbedienungen, Funketiketten, Babyphones und Bluetooth-Geräte.
Die Forderung, niedrige Frequenzbereiche als Allgemeingut kostenlos zur Verfügung zu stellen, widerspricht allerdings der vom 2013 verstorbenen Nobelpreisträger Ronald Coase vertretenen Wirtschaftstheorie, wonach es zu optimalen Ausnutzung begrenzter Ressourcen wie Funkfrequenzen erforderlich sei, Nutzungsrechte festzulegen und diese am Markt zu veräußern.
Das ist genau das, was die Politik zum Beispiel bei den durch Umstellung der Fernsehübertragung frei gewordenen Frequenzen – der sogenannten “Digitalen Dividende” – in der Vergangenheit getan hat – und derzeit mit der “Digitalen Dividende II” wieder zu tun beabsichtigt. Während das die Politik als ideale Gelegenheit sehen mag, schnell an zusätzliche Einnahmen zu kommen, ist Elsner und Weber zufolge “nicht nur aus individueller, sondern auch aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive der kostengünstigste Ansatz für elektronische Kommunikation einer intensiven Vermarktung vorzuziehen”.
Konkret schlagen sie vor, für die mobile Kommunikation für jedermann ein 90-MHz-Intervall auf UHF-Bändern zu reservieren. Davon könnten auch Anwendungen wie die Veranstaltungstechnik profitieren, wo etwa Bühnenmikrophone und -kameras digital senden könnten, statt wie bislang Nischen des Fernsehspektrums analog nutzen. Zudem halten die Wissenschaftler die Anwendung für Rettungskräfte für denkbar.
Für die Umsetzung sei allerdings eine breite, weltweite Debatte erforderlich. Weber und Elsner schlagen deshalb vor, ihren Ansatz in der World Radiocommunication Conference (WRC) zu diskutieren. Diese von den Vereinten Nationen initiierte Konferenz tagt nächstes Jahr wieder und entscheidet auf globaler Ebene über die Nutzung von Radiofrequenzen.
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