Europas Software-Standorte: keine kleinen Silicon Valleys
Der EU Softwarecluster Benchmark 2013 des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung hat 15 europäische Ballungszentren der Software-Industrie untersucht und versucht, deren Merkmale herauszuarbeiten. Die Studie sieht die europäischen Software-Cluster als Individuen, die über deutlich unterscheidbare Profile in Bezug auf Wachstum, Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, Spezialisierung und wirtschaftlichen Erfolg verfügen.
Die Cluster lassen sich in zwei Arten aufteilen. Eine Gruppe besteht aus Clustern, die bereits groß sind, die andere aus solchen, die dynamisch wachsen. Das Silicon Valley in den USA vereint beide Attribute. Es ist gleichzeitig groß und wächst weiterhin schnell. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die europäische Software-Cluster nicht nur versuchen sollten, das Silicon Valley zu kopieren, sondern individuelle Wachstumspfade verfolgen, voneinander lernen und zusammenarbeiten sollten.
Anhand von sieben Kategorien analysiert die Studie 15 europäische Software-Cluster. Zu den Kategorien zählen Beschäftigung, Umsatz, Wachstumsdynamik, Humankapital, Unternehmensdemographie, allgemeine und branchenspezifische Rahmenbedingungen. Nur die fünf Cluster Berkshire, Buckinghamshire und Oxfordshire (BBO), London, Île -de-France, Stockholm sowie der deutsche Software-Cluster erhalten die Bestnote.
Der deutsche Software-Cluster, zu dem die Städte Frankfurt, Darmstadt, Karlsruhe, Kaiserslautern und Saarbrücken gehören, erzielt den höchsten Umsatz. Dazu tragen vor allem die beiden Softwareriesen SAP und Software AG bei. London erhält die Bestnoten in Bezug auf Humankapital und allgemeine Rahmenbedingungen und ist den Studienautoren zufolge Europas globaler Knotenpunkt für IT-Services und Venture Capital.
Der französische Cluster Île-de-France – rund um Paris – ist ein noch immer wachsender Softwareriese mit einer starken Forschungs- und Entwicklungstätigkeit, und Stockholm gelingt es, ein ausgewogenes hoch spezialisiertes Cluster mit starkem Umsatz zu verbinden.
Obwohl einige der Cluster in einzelnen Aspekten international konkurrenzfähig sind, kann es kein europäischer Software-Cluster mit dem Silicon Valley aufnehmen. Der Grund: Der Studie nach sind Software-Cluster in Europa nicht ausbalanciert. Einige sind vergleichsweise groß und gesättigt und andere eher klein, aber dynamisch wachsend. Das Silicon Valley vereint Größe und Wachstumspotenzial.
Ein weiterer Unterschied ist die Größe des Marktes in den USA. Für Unternehmen in Nordamerika ist es nicht nötig, internationale Märkte zu erschließen, um international konkurrenzfähig zu sein, zu diesem Ergebnis kommt Glen Manchester, CEO von Thunderhead.com.
Die Erkenntnisse der Studie sollen helfen, Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Software-Cluster zu identifizieren. Der EU Softwarecluster Benchmark 2013 wurde vom deutschen Software-Cluster in Auftrag gegeben, “um die Profile der europäischen Software-Cluster zu identifizieren und Komplementaritäten zu finden, damit koordinierte Aktionen und Kooperationen zwischen den Clustern möglich werden,” erklärt Stephan Fischer, Vorsitzender des Software-Cluster-Strategieboards und Director TIP Strategic Innovation SAP, auf einer Pressekonferenz zur Veröffentlichung der Studie.
“Die Software-Branche ist ein wichtiger Motor für die Wettbewerbsfähigkeit der EU und beeinflusst die Innovationsfähigkeit in allen Branchen. Innovation findet heute zunehmend durch Kollaboration statt,” so Fischer weiter.
“Die Cluster-Studie zeigt klar: Wir haben in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Die europäische Softwareindustrie ist wichtiger Katalysator der europäischen High-Tech-Branche”, erklärte Karl-Heinz Streibich, Vorstandsvorsitzender der Software AG und ergänzt “die Ergebnisse unterstreichen aber auch, dass alle europäischen Cluster im globalen Vergleich Nachholbedarf haben. Industrielle Stärke auf globaler Ebene muss unser Ziel sein, um auf internationalem Parkett wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Cluster brauchen noch bessere Rahmenbedingungen und die Unterstützung der Politik, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene.”
Bernard-Louis Roques, CEO und Mitgründer von Truffle Capital, ist der Meinung, “dass die europäische Softwarebranche eine Kraft bleibt, mit der gerechnet werden muss, trotz der aktuellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten.” Truffle Capital veröffentlicht jährlich eine Rangliste der 100 größten europäischen Software-Unternehmen. Europa hänge Roques zufolge mehr denn je von innovativen Branchen ab, um im Wettbewerb bestehen zu können.
Obwohl die Branche wächst, sank der Gewinn der 100 größten europäischen Softwareunternehmen um 8,7 Prozent. Roques führt dies auf die steigenden Investitionen zurück. “Die Unternehmer im Softwaresektor sind dennoch optimistisch, ungeachtet der schwierigen wirtschaftlichen Zeiten, die wir durchlaufen, wie man daran sehen kann, dass sie auf Investitionen in Personal sowie Forschung und Entwicklung setzen und ein Wachstum von 5 bis 15 Prozent im Jahr 2014 erwarten”, erklärt der CEO von Truffle Capital.
Tipp: Die ITespresso-Serie “Europas unbekannte IT-Standorte”
- Türkei: Silicon Valley am Bosporus
- IT made in Schweden
- Linz: Hightech & Kunst
- Bukarest: Software-Mekka auf dem Balkan
- Skolkovo: Silicon Valley vor den Toren Moskau
- Der unterschätzte kleine Bruder: Portugal
- Spanien: Die Hightech-Zentren Barcelona und Malaga
Tipp: Wie gut kennen Sie sich mit der europäischen Technologie-Geschichte aus? Überprüfen Sie Ihr Wissen – mit 15 Fragen auf silicon.de.