Richard Stallmans Feldzug gegen die Industrie

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Dass ein IT-Experte, dessen Spezialität darin besteht, Lizenzmodelle für Software zu entwerfen, Vorträge über dieses Thema hält, ist nicht überraschend. Dass so ein Mann jedoch einen Saal mit Hunderten von Studenten begeistert, Standing Ovations bekommt und anschließend noch Autogramme geben muss, ist eher ungewöhnlich. Doch Richard Stallman ist kein beliebiger IT-Experte. Stallman ist der legendäre Gründer der Free Software Foundation (FSF) und der Pionier des GNU/Linux-Projekts. Und der Mann hat Charisma. Dies stellte er bei seinem Vortrag im dicht besetzten Hörsaal “Rudolf Diesel” der TU München eindrucksvoll unter Beweis.

Das Thema des zweistündigen Vortrags lautete “Copyright vs. Community”. Studenten hatten die nähere Umgebung der Universität bis hin zur U-Bahn-Station mit Hinweiszetteln gespickt. So war der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt.

Richard Stallman hält seinen Vortrag über “Copyright vs. Community” in einem Hörsaal der Technischen Universität München.

Free Software Foundation: Freiheit für die Anwender

Stallmans größtes Verdienst ist sicher die Gründung der Free Software Foundation (FSF). Die FSF versteht sich weniger als Organisation für Technikstandards, sondern eher als soziale Bewegung. Ihr Hauptziel ist es, Freie Software zum Erfolg zu führen. Als Freie Software gelten Betriebssysteme und Programme, bei denen der Anwender den Quellcode einsehen, die Software modifizieren sowie kopieren und weitergeben darf. Das soll die völlige Freiheit des Anwenders im Umgang mit dem Programm garantieren.

Open-Source-Software hingegen erlaubt zwar den Einblick in den Quellcode, aber nicht automatisch das Modifizieren und Weitergeben des Programms. Als wichtigstes Free-Software-Projekt gilt Stallmans freies Betriebssystem GNU/Linux.

Die Freiheit des Anwenders zog sich denn auch wie ein roter Faden durch den Vortrag. Wenn der Anwender die oben erwähnten Freiheiten nicht hat, dann hat er laut Stallman auch keine Kontrolle über die Software. Stattdessen kontrolliert die Software den Anwender. Und damit geraten die Hersteller und Anbieter der Programme ins Visier. Darum ist für Stallman “unfreie Software” ein Werkzeug “ungerechter Machtausübung”.

Massive Kritik

Dieses Urteil fällte Stallman, der hinter seinem Pult frei und scheinbar ohne Spickzettel sprach, aber auch für die großen Filmstudios, Plattenlabels und Konzerne wie Microsoft, Sony, Apple und Amazon. Für deren Geschäftsgebaren hat der FSF-Gründer nur Verachtung übrig.

Stallman spannte in seiner Rede einen weiten Bogen von der Geschichte des Kopierens im Mittelalter über die ersten Copyright-Gesetze im Zeitalter des Buchdrucks bis hin zu den umstrittenen DRM-Maßnahmen der Film- und Musikindustrie (DRM, Digital Rights Management).

Verbraucher haben Copyright satt

Der Free-Software-Pionier lehnt das Copyright nicht durchweg ab. Es müsse nur an die Erfordernisse des digitalen Zeitalters angepasst werden. Buchverlage sowie Filmstudios und Plattenfirmen würden mit ihrer Copyright-Politik die Freiheit der Anwender einschränken. Denn diese wollen Musik, Software oder Filme genießen und vielleicht weitergeben und mit anderen teilen. Doch die Verbraucher hätten die Einschränkungen durch das Urheberrecht und DRM satt. Die Rechtfertigung für Copyright sei heutzutage dahin. Stallman fordert in diesem Zusammenhang, die Geltungsdauer des Urheberrechts für Autoren auf zehn Jahre zu beschränken.

Auch Regierungen bekommen ihr Fett weg. Eine “wahrhaft demokratische Regierung” würde das Urheberrecht im Interesse der Bürger einschränken und das Recht auf Kopieren und Weitergabe von Software, Musik oder auch Filmen stärken. Stattdessen agierten die Regierungen als Erfüllungsgehilfen der Industrie.

Vom MIT-Programmierer zum Free-Software-Aktivisten

Stallmans rhetorischer Feldzug gegen Software-Anbieter, Filmstudios und Plattenlabels hat eine lange Geschichte. Der 1953 geborene Computerspezialist und Harvard-Absolvent arbeitete von 1971 bis 1984 im berühmten MIT (Massachusetts Institute of Technology) am Labor für Künstliche Intelligenz und hat dort sein Handwerk als Programmierer gelernt. 1983 startete Stallman das Projekt GNU. (GNU, GNU is not Unix). Das Betriebssystem sollte Unix ersetzen und dabei dem User alle Freiheiten lassen. 1985 gründete Stallman dann die Free Software Foundation.

In den 90er Jahren avancierte Richard Stallman zum gefragten Redner auf Kongressen oder auch in Universitäten. Das liegt nicht nur an seinen griffigen Thesen: Wie wenige IT-Experten verbindet er technisches Know-how mit einem gesellschaftlichen Anliegen.

Meister der PR: Richard Stallman versteigert ein GNU-Stofftier. Der Erlös kommt der Free Software Foundation zugute.

Sony ins Gefängnis

In seinem Vortrag knöpfte Stallman sich auch Konzerne wie Amazon oder Sony vor. Sony habe einen “cleveren und fiesen Plan” gehabt, um Audio-CDs durch Kopierschutz zu korrumpieren. So habe Sony einen raffinierten Kopierschutz auf die Musik-CDs gepackt, der als unsichtbares Rootkit sogar das Betriebssystem des PCs gekapert habe. Das sei ein “schweres Verbrechen” gewesen, dafür hätten die Sony-Verantwortlichen “für Jahre ins Gefängnis wandern können”.

Doch dies sei nicht das einzige Verbrechen gewesen. Für den Kopierschutz hätte Sony sogar einen Software-Code missbraucht, der ursprünglich unter Free-Software-Lizenz (Video General Public License) verteilt worden sei.

Seine Kompromisslosigkeit macht Richard Stallman mit einer Anekdote deutlich. Einst habe man ihm nach einem Vortrag in Spanien eine CD mit Musik aus der Region geschenkt. Als er darauf das Symbol “Copy Control” entdeckt habe, habe er das Geschenk zurückgegeben und gesagt: “Hier sehen Sie das Gesicht des Feindes”.

Seiner Überzeugung nach könnten Musiker übrigens auch ohne die großen Plattenlabels Geld verdienen. “Wir sollten die großen Plattenfirmen rausschmeißen (“let´s kick out the record companys”) und ihnen geben, was sie verdienen. Und sie verdienen alles zu verlieren, was sie haben. Denn sie haben ungerechte und grausame Gesetze durchgesetzt, sie haben Teenager auf Hunderttausende Dollar oder Euros verklagt, wenn diese eine CD kopiert oder weitergegeben haben”.

Für starke Sprüche wie diesen bekam der Free-Software-Guru regelmäßig Beifall und hatte die Lacher auf seiner Seite. Einen Beifall, den der ein bisschen wie ein Alt-Hippie auftretende Free-Software-Gründer mit einer gewissen Routine zu genießen schien. Es war wohl nicht das erste Mal, dass Richard Stallman sein Publikum mit deftigen Attacken auf Sony und Co unterhielt.

Kritik an E-Books

Auch den zurzeit so viel diskutierten E-Books kann Stallman nicht viel Gutes abgewinnen. Denn E-Books kann man eben in der Regel nicht weitergeben oder verschenken. Stallman forderte seine Zuhörer im Saal geradezu dazu auf, keine E-Books zu kaufen.

Amazons E-Book-Reader Kindle benannte er kurzerhand um in “Swindle”. Er nenne den E-Book-Reader so, weil er die Leser aus ihren Freiheiten “herausschwindle”. So zum Beispiel aus der Freiheit, ein Buch anonym zu kaufen. Das ist bei der Online-Bestellung eines E-Books bei Amazon nicht möglich, denn beim Bestellvorgang muss der Käufer nun mal seine persönlichen Daten angeben.

Auf diese Weise könne Amazon eine gigantische Datenbank aufbauen, in der die Lektüre jedes Kunden verzeichnet sei. Die Existenz einer solchen Datenbank ist für Stallman eine “Bedrohung der Menschenrechte, die wir nicht tolerieren” dürfen.

Außerdem würde Amazon die Freiheit des Käufers, das Buch nach der Lektüre zu verschenken oder zu verkaufen, durch DRM unmöglich machen. Der Anwender besitze das Buch laut Lizenzvertrag gar nicht, es erwerbe mit dem Buch nur das Recht, es zu lesen. Wenn man seine Bücher nicht mehr verleihen oder verschenken könne, dann könne das sogar “Freundschaften töten”.

Free-Software-Aktivist Richard Stallman: “Wir laden Sie ein, der unfreien Software zu entfliehen und mit uns in der freien Welt zu leben, die wir gebaut haben.”

Komfort statt Freiheit

Ganz unschuldig am Siegeszug von Produkten wie dem E-Book-Reader sind die Verbraucher allerdings nicht. Stallman erklärt den Erfolg der Produkte auch mit der Bequemlichkeit der Menschen. Leider würden viele Verbraucher sich für Komfort und Bequemlichkeit statt für Freiheit entscheiden.

Doch nicht nur die Sünden der digitalen Kulturindustrie machte Richard Stallman zum Thema. Schließlich ist der Einsatz für Freie Software die eigentliche Hauptaufgabe des ehemaligen MIT-Programmierers. Stallman beschwert sich darüber, dass GNU in der Öffentlichkeit nur als “kleines Add-on” zu Linux gesehen wird. Seiner Ansicht nach verhält es sich eher umgekehrt. Linux habe nur die letzte Lücke im GNU-Betriebssystem gefüllt.

Für diese Ansicht spricht zumindest die Tatsache, dass Stallman sein Projekt GNU bereits 1983 gestartet hatte. Deshalb legt Richard Stallman auch Wert darauf, dass die entsprechenden Distributionen die Bezeichnung “GNU/Linux” tragen. Wichtig ist für den Free-Software-Pionier auch die Abgrenzung von Open Source. Denn nicht jede Open-Source-Software erlaubt dem Nutzer auch, den Code zu verändern oder weiterzuverbreiten.

Die Veranstaltung endete so wie eine Veranstaltung mit einem Star eben endet. Richard Stallman musste fast eine Stunde lang Autogramme geben, für Fotos lächeln und T-Shirts signieren. Eine Aufgabe, die er mit gut gelaunter Nonchalance erledigte. Schließlich ist das Autogramme schreiben deutlich einfacher als die Massen von den Vorzügen der Free Software zu überzeugen.

Ein ausführliches Interview mit Richard Stallman finden Sie auf ZDNet.

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