Tim Cole: Business in Asien
Der junge Mann am anderen Ende der Leitung hat sich heute Morgen schlecht rasiert. Die Bartstoppeln unter seinem Kinn sind deutlich zu sehen. Er muss es wohl eilig gehabt haben, zu seinem Meeting zu kommen. Er sitzt übrigens in Bangkok, aber in München ist jedes Detail in seinem Gesicht deutlich zu erkennen, genau als säße er auf der anderen Seite des Konferenztischs. »Schon erstaunlich, was die Technik heute alles kann«, sagt Kay Ohse. Er ist Verkaufsleiter bei Polycom, einem weltweiten Anbieter von so genannten »Telepräsenz«-Systeme, die so viel kosten wie eine Doppelhaushälfte.
Dafür können sie einem das Gefühl geben, als säße man seinem Gegenüber am anderen Ende der Welt wirklich Auge in Auge gegenüber.
Auge in Auge mit Telepräsenz
Polycom verdient recht gut mit solchen Super-Anlagen, die meistens in den Boardrooms großer Konzerne, in speziellen Telepräsenz-Studios der Deutschen Telekom oder anderer Anbieter stehen. Dort kann man sie auch stundenweise mieten, hat aber den Nachteil, dass man sich ins Auto setzen und hinfahren muss. Immer noch besser als zehn Stunden nach Bangkok fliegen, mag sich mancher Mittelständler sagen. Aber es gibt zum Glück noch eine Alternative.
»Für den Mittelstand ist Telepräsenz im Moment nicht das Thema«, gibt Kay Ohse zu. Dafür boomt der Markt für Videokonferenz-Systeme. Die sind etwas kleiner und einfacher, sie stehen auch meistens bei den Unternehmen selbst, aber sie sind genauso effektiv, wenn es darum geht, die Kommunikationsqualität zu erhöhen. Gerade im Umgang mit asiatischen Geschäftspartnern mit ihren oft undurchdringlichen Mienen und ihrer ungewohnten Körpersprache ist es erfahrungsgemäß von besonderem Vorteil, wenn man neben der Stimme auch den Gesichtsausdruck und die Mimik des anderen verfolgen kann.
Alternative zur Geschäftsreise
Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum gerade der globale Mittelstand dringend auf die Hilfe moderner Technik zurückgreifen muss: die Kosten. Denn Reisen ist nun mal teuer: 47 Milliarden Euro haben deutsche Firmen 2008 für insgesamt mehr als 163 Millionen Geschäftsreisen ausgegeben, behauptet der Verband Deutsches Reisemanagement (VDR). Im Durchschnitt 135 Euro kostete jeder Reisetag die Firma – das gilt bestimmt nicht für Asien, da ist es eher das Doppelte.
»Die Substitution von Geschäftsreisen durch Video-, Web- und Telefonkonferenzen legt signifikant zu«, heißt es in einer Analyse des Verbands. Sein Fazit: »Die Telekommunikation ist eine maßgebliche Alternative zur Geschäftsreise.«
144 000 virtuelle Meetings bei Cisco
Auch für Guido Sommer, Vertriebschef der deutschen Niederlassung des Netzwerkriesen Cisco, ist »jede Minute Reisen vergeudete Zeit.« Er gibt allerdings auch zu, dass Videokonferenzen nicht immer das persönliche Gespräch ersetzen, aber es mache viele Reisen überflüssig. Vor vier Jahren ist seine Firma groß ins Geschäft mit der Bewegtbildkommunikation eingestiegen, ist inzwischen zum Marktführer aufgestiegen.
Außerdem ist Cisco selbst einer der weltgrößten Anwender von Videokonferenztechnik. 269 eigene Studios betreibt der Konzern in 36 Ländern, Cisco-Mitarbeiter saßen in 144 000 virtuellen Meetings, und Sommer rechnet vor, dass 27 000 Geschäftsreisen gar nicht erst angetreten worden sind, was seinem Unternehmen rund 118 Millionen Dollar gespart hab.
Fast genauso wichtig, so Sommer, sei aber eine andere Zahl: 27 Millionen Kubikmeter des Klimagases CO2 seien dadurch vermieden worden, weil die Mitarbeiter des Unternehmens auf Geschäftsreisen mit Auto oder Flugzeug verzichtet haben. Das entspricht der Abgasmenge von mehr als 10 000 Autos im Jahr.
Kunden kaufen lieber bei grünen Unternehmen
Solche Argumente überzeugen nicht nur große multinationale Konzerne. »Klimaschutz ist für uns sehr wichtig«, behauptet zum Beispiel Harald Füssinger, IT-Chef der 1983 gegründeten Wenglor Sensoric in Tettnang am Bodensee. Der Spezialist für Optoelektronik beliefert rund 50 000 Kunden mit Barcodescannern, Sicherheitssensoren und Bildverarbeitungssystemen. Am Firmensitz und in Niederlassungen in China und den USA arbeiten mehr als 500 Fachleute, die sich ständig und intensiv über Produkte und Entwicklungen austauschen müssen.
Außerdem mussten Mitarbeiter früher mehrmals im Jahr in die Firmenzentrale reisen, um Schulungen zu besuchen. Heute findet das Training fast nur noch über das hauseigene Videokonferenzsystem statt, was die Öko-Bilanz des Unternehmens aufbessert. »Das Vermeiden reisebedingter CO2-Emmissionen ist für ein ökologisch orientiertes Unternehmen heute Pflicht«, sagt Füssinger.
Und es zahlt sich seiner Meinung nach sogar aus: »Immer mehr Kunden fragen danach, wie grün ein Unternehmen ist.«
Erkenntnisse über fremde Märkte gewinnen
Moderne Technik hilft, die Zahl der Meetings zu begrenzen. Aber man kann nicht per Internet mit einem wichtigen Kunden essen gehen oder mit ihm auf einen neuen Vertragsabschluss anstoßen, mag mancher einwenden. Und es stimmt. Allerdings helfen technische Systeme, die Zahl der persönlichen Besuche in der Fernost-Niederlassung auf ein erträgliches Minimum zu reduzieren. Das schont die Firmenkasse, hilft der Umwelt und spart dem Firmenchef viel Zeit, die er dringend für seinen eigentlichen Job benötigt, nämlich seine Firma zu führen.
Moderne Kommunikations- und Informationssystem wie das Internet helfen Managern und Mitarbeitern außerdem, von Deutschland aus Erfahrung und Erkenntnisse über die möglichen Zielländer zu gewinnen. Das Problem ist nur: Die meisten Homepages einheimischer Unternehmen sind auf Chinesisch, Thai, Malaysisch oder Indonesisch. Um online an landesrelevante Informationen zu kommen, sind Leute nötig, die die Landesprache sprechen, also am besten solche, die vor Ort sitzen.
Um allerdings die so gesammelten Informationen zu verwertbarem Wissen veredeln zu können, bedarf es weit mehr als die Fähigkeit, im Internet zu surfen. Hier spielt abermals die »cultural intelligence« eine Schlüsselrolle, denn sie versetzt den Mitteleuropäer in die Lage, die Zusammenhänge zu erkennen und Erkenntnisse abzuleiten, die er für die Tagesarbeit benötigt.
Das chinesische Google heißt Baidu
So ist es zum Beispiel für die meisten europäischen Anbieter längst selbstverständlich, dass sie versuchen, ihre Produkte oder Dienste in der Suchmaschine »Google« möglichst weit oben zu platzieren, denn nur wer gefunden wird, macht das Geschäft.
Aber was nützt ein gutes Ranking bei Google, wenn die asiatischen Zielkunden ganz woanders im Internet nachschlagen? In China ist Anfang 2010 ist die Suchmaschine »Baidu« mit Abstand Marktführer mit einen Marktanteil von 63 Prozent. Der Thai sucht am liebsten auf sanook.com, der Indonesier auf catcha.co.id, der Inder auf Sify.com oder ByIndia.com. Warum? Weil diese ihre Inhalte auch in der jeweiligen Landessprache anbieten.
Ali Baba als Beschaffungsportal
Asiatische Unternehmen sind, was das Internet angeht, in der Regel noch sehr konservativ. Sie stellen ihre Angebote lieber in ein geschlossenes System wie alibaba.com, eine Art Online-Gelbe Seiten, das deshalb auch zu einem der beliebtesten Website für Businessleute in Asien avanciert ist. Damit bildet alibaba.com eines der größten Beschaffungsportale der Welt. Unternehmen müssen sogar für ihren Eintrag bezahlen, aber das tun sie gerne, denn sie wissen, dass fast jeder asiatische Einkäufer routinemäßig reinschaut.
Um dort präsent zu sein, braucht der deutsche Unternehmen wieder jemanden, der Chinesisch in Wort und Schrift perfekt beherrscht. Von Deutschland aus dürfte das ein recht mühsames Unterfangen sein.
Die Nutzung des Internets in Asien ist in den vergangenen Jahren explosionsartig gewachsen. Jeder zweite Internetnutzer sitzt nach einer Statistik des Analyseunternehmens Comscore bereits im asiatisch-pazifischen Raum. Die Verbreitung ist besonders unter jungen Leuten groß.
Laut Comscore verbringt der durchschnittliche Internetnutzer in Asien mehr als 17 Stunden in der Woche in der Welt hinter dem Computerbildschirm.
Ganz etwas anderes ist allerdings die Präsentation der Unternehmen im Internet. Viele große und bekannte Unternehmen sind nicht im Internet vertreten. Die Websites sind, gemessen an westlichen Standards, oft langweilig und produktbezogen, aber das ist durchaus beabsichtigt. Alles, was nicht mit dem Produkt zu tun hat, wird vernachlässigt – dafür gibt man einfach kein Geld aus.
Marktforschung übers Web
Dafür entwickelt sich das Internet in Asien immer mehr zu einem unverzichtbaren Instrument der Marktforschung. Unternehmen, die es vernachlässigen, das Internet als Vertriebs- und Kommunikationskanal zu nutzen, verpassen eine goldene Gelegenheit, Zielgruppen in Asien zu erreichen und sich über ihre Wünsche und Bedürfnisse zu informieren. Besonders beliebt bei Asiaten sind die »Social Networks«.
Mit Ausnahme von China, wo der Webservice aus Angst vor kritischen Kommentaren nach wie vor gesperrt bleibt, ist Facebook überall in Fernost ein Renner: Die Menschen vernetzten sich, tauschen sich aus über Alltagsprobleme aus und geben sich gegenseitig Empfehlungen, die ein geschickter Marketingmann nutzen kann, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen und nahe am Markt zu bleiben.
Laut den Medienbeobachtern von Nielsen stehen Online-Empfehlungen in Asien mittlerweile an dritter Stelle bei den Informationsquellen, denen die Verbraucher vertrauen und an denen sie sich in ihren Kaufentscheidungen orientieren.
Globalisierung 3.0
Der Siegeszug von Internet & Co. hat nach Ansicht des amerikanischen Kolumnisten und Erfolgsautors Thomas L. Friedman von den New York Times nicht nur eine nachhaltige Veränderung in der Kommunikationskultur der Unternehmen geschaffen, er hat auch eine neue Chancengleichheit zwischen großen und kleinen Unternehmen geschaffen. Damit spielt die Technik dem globalen Mittelstand direkt in die Hände. Friedman hat das Phänomen einmal als »Globalisierung 3.0« beschrieben.
Drei Faktoren sind seiner Meinung nach dafür verantwortlich:
• Unbegrenzte Computerleistung, und zwar überall! Das erlaubt uns, jederzeit potenziell wertvolle Inhalte zu erzeugen.
• Unbegrenzte Bandbreite dank Glasfaser und Funktechnik. Dadurch können wir jederzeit wertvolle Inhalte zu versenden oder abzurufen.
• Unbegrenzte Kollaboration dank neuartiger Kooperations-Werkzeuge und so genannter »work-flow software«. Das erlaubt uns, mit anderen Menschen auf eine Art und Weise zusammenzuarbeiten, die bislang unvorstellbar war – und die sich manche immer noch nicht vorstellen können.
Zusammengenommen versetzen diese drei Faktoren auch kleine und mittlere Firmen, aber auch kleine Gruppen oder sogar einzelne Menschen, in die Lage, am globalen Wettbewerb teilzunehmen. Es zwingt die Unternehmen aber auch, über ihre Rolle in der vernetzten Welt nachzudenken und sich zu fragen: Wie passen wir in eine globale Wirtschaft und wie können wir davon profitieren?
Das darwinistische Arbeitsumfeld
Es ist heute dank Internet und Software-Anwendungen wie E-Mail, Google oder Microsoft Office sowie spezieller Workflow-Software relativ einfach möglich, globale Kollaborations-Plattformen zu errichten. Dank dieser Workflow-Netze können Wissensarbeiter auf der ganzen Welt ihre Kompetenz mit anderen teilen. Jeder macht das, was er am besten – oder am billigsten – kann und treibt damit Innovation und Produktivität
Aber die gleichen Anbieter von Arbeitsleistung werden in einem darwinistischen Arbeitsumfeld unter einem nie gekannten Druck stehen, ihre Kompetenz laufend zu verbessern, um nicht zurückzufallen. Und ihre Arbeitgeber werden sich ebenso anpassen müssen, wenn sie nicht wie die Dinosaurier ein Opfer der unaufhaltsamen Evolution werden wollen.
Der vorliegende Text ist ein Ausschnitt aus dem Buch »Asien für Profis« von Tim Cole und Gunter Denk. Das Buch ist im Hanser Verlag erschienen.
Tim Cole ist Publizist im Themenbereich Wirtschaft und Hightech. Daneben ist er Mitbegründer des Analystenunternehmens Kuppinger Cole, das sich mit digitalen Businessthemen wie Identity und Access Management, GRC (Governance, Risk Management, Compliance) und Cloud Computing beschäftigt.