Riskiert Google absichtlich eine Untersuchung durch die US-Handelsaufsicht?

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Es steht kaum in Frage, dass Google kräftig daneben gelangt hat mit »Search, plus your world«, einem Feature, bei dem die Google-Suche personalisiert wird, indem Beiträge und Fotos aus Google+ in die Suchergebnisse der Nutzer eingebunden werden.

Anwender, die in ihr Google-Konto eingeloggt sind, können nun offiziell als Schafe gelten, die vom angeblich guten Hirten Google geleitet werden. Das Unternehmen führt die Nutzer in einen wundervollen »Walled Garden«, wo ihnen noch mehr Anzeigen untergejubelt werden können.

Ein hinterlistiger Plan?

Es steht außer Frage, dass durch die Nutzung von Google+ hohe Effizienzeffekte erzielt werden können, abgesehen davon, dass man sich damit auf amüsante Weise die Zeit vertreiben kann. Es steht ebenfalls außer Frage, dass Facebook und Twitter bei »Search, plus your world« in seiner derzeitigen Form außen vor bleiben.

Twitter ist darüber äußerst besorgt, ebenso wie die US-Datenschutzorganisation Electronic Privacy Information Center (EPIC), die am 12. Januar eine offizielle Beschwerde eingereicht hat, weil die Suchfunktion mit individuell zugeschnittenen Ergebnissen sowohl die Privatsphäre der Nutzer verletzt als auch Google-Inhalte höher bewertet als die der Konkurrenz. Facebook kümmert dies nicht, oder spielt man dort nur Gelassenheit vor? Schwer zu sagen, da sich Zuck & Co. in Palo Alto bislang nicht zu diesem Thema geäußert haben.

Aber vielleicht sollte Facebook besorgt sein, sogar ernsthaft besorgt. Eric Eldon, Redakteur bei der Webseite TechCrunch, hat eine interessante Theorie aufgestellt, laut der Google, das sich den Wahlspruch »Don’t Be Evil« auf die Fahnen geschrieben hat, ein meiner Meinung nach genialer Schurke ist. Sie besagt, dass Google dieses Feature deshalb gelauncht hat, um das Justizministerium und die US-Handelsaufsicht FTC auf den Plan zu rufen, damit die Beamten minutiös sowohl die Suchmaschinenfunktion als auch das soziale Netzwerk untersuchen, in der Hoffnung, dass die Aufsichtsbehörden die beiden Web-Dienste über einen Kamm scheren werden.

Damit könnte Google zweierlei erreichen: 1) Dies könnte die Marktperspektiven der Aufsichtsbehörden bezüglich des Marktes für Social Media, den der amerikanische Kongress bis dato ganz klar von der Internetsuche abgegrenzt hat, deutlich erweitern. 2) Dadurch könnte Facebook, das für dieses Jahr den Börsengang plant, unerwünschte Prüfungen ins Haus stehen. Diese Untersuchungen könnten Facebooks Dynamik einen Dämpfer verpassen. Ein Paradebeispiel für die eiskalte und kalkulierende Ausführung eines hinterlistigen Plans. Wenn es denn stimmt.

Ein Wolf im Wolfspelz

Es ist ja nicht so, dass Google ein Wolf wäre und Facebook keiner. Obwohl Facebook von Datenschützern oft an den Pranger gestellt wird, konnte das Unternehmen es bisher vermeiden, als Monopolist dazustehen, obwohl die Zahl seiner Nutzer der Milliardengrenze immer näher rückt. Trotzdem hat, wie Eldon deutlich macht, das soziale Netzwerk seinem Entwickler-Ökosystem und seinen Partnern nicht selten übel mitgespielt:

Facebook hat in seiner bisherigen Firmengeschichte so manche Entwickler auf seiner Plattform und so manchen Partner bevorzugt behandelt, ohne dass es zu ernsthaften Untersuchungen seitens der Justiz gekommen wäre. Zu den Mechanismen, die dem Unternehmen dafür zur Verfügung stehen, zählen unter anderem: Die Nachrichten von bevorzugten Partnern tauchen öfter in der Neuigkeiten-Liste bei Benutzern auf, Verstöße gegen die Spam-Richtlinie werden kaum geahndet, es werden zusätzliche Benachrichtigungen und Anforderungsfunktionen zur Verfügung gestellt, früher Zugang zu Funktionen für Viralmarketing usw. Zu den von Facebook über die Jahre hinweg begünstigten Firmen gehören unter anderem Causes, Spotify, auf jeden Fall Zynga, große Anzeigenkunden … und strategisch wichtige Investoren und Geschäftspartner wie Microsoft.

Welche Argumente könnte Google also ins Feld führen, sollten die Aufsichtsbehörden ein offenes Ohr haben? Google könnte auf Facebooks Partnerschaft mit Bing hinweisen, da das soziale Netzwerk ausschließlich die Suchergebnisse der Drittfirma Bing nutzt. Nicht gerade ein glänzendes Beispiel für die Wahlfreiheit des Nutzers, nicht wahr? Darüber hinaus kann Bing auf die personenbezogenen »Gefällt mir«-Daten bei Facebook zugreifen, zu denen Google keinen Zugang hat. Eldon sagt, Google würde folgendermaßen argumentieren:

Wir stehen in Wettbewerb mit einer Firma, die ein soziales Netzwerk betreibt. Diese Firma verfügt ganz klar über einen beherrschenden Marktanteil und hat eine strategische Partnerschaft mit einem unserer größten Konkurrenten abgeschlossen. Diese Partnerschaft schließt insbesondere unsere Suchmaschine aus, daher können wir nicht ihr volles Potenzial nutzen. Das ist genauso unfair wie unsere Integration von Google+-Inhalten in die Suchergebnisse. Wenn ihr uns Vorschriften machen wollt, müsst ihr denen auch Vorschriften machen. Oder lasst uns ganz zufrieden.

Google könnte dann Facebook dabei helfen, behördliche Überprüfungen zu vermeiden, indem es Facebook darum bittet, Zugang zum selben Datenmaterial zu erhalten, auf das auch Bing Zugriff hat, und es dann in seine Suchergebnisse einbindet. Wenn Facebook ablehnt und die Wettbewerbshüter beide Unternehmen unter die Lupe nehmen, könnte Google die neuen Bedenken hinsichtlich seiner Praktiken im Bereich soziale Suche dadurch abmildern, dass es Facebook mit in den wettbewerbsrechtlichen Fleischwolf zieht.

Vor zehn Jahren hatte Microsoft niemanden, den es mitziehen und zu seinem Prügelknaben machen konnte, und auch keinen Sündenbock. Google könnte Facebook zu seinem Sündenbock machen. Hat Google genug Angst vor Facebook, um dies zu tun? Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht nicht im Moment, aber Google hat Angst vor der Zukunft.

Aber all dies hört sich nach einer strategischen Verschwörung an, die die Ausmaße eines Plans von Dr. Evil annimmt. Ich hege den Verdacht, dass Google einfach zu arrogant und zu ignorant vorgegangen ist. Das ist wie damals bei der Google-Buzz-Geschichte, nur sind mittlerweile zwei Jahre vergangen und schuld ist nun die monopolistische Begünstigung und nicht mehr die Aushöhlung der Privatsphäre.

Ich bin nicht davon überzeugt, dass es bei »Search, plus your world«, wirklich datenschutzrechtliche Bedenken gibt, wie EPIC angeblich behauptet, denn jeder Nutzer und jede Nutzerin sieht nur den Content, den er oder sie bereits mit anderen auf Google+ teilt, und es gibt eine Opt-Out-Funktion. Das Ganze ist darüber hinaus mit HTTPS verschlüsselt.

Ich bin jedoch der Überzeugung, dass Google sich mit dieser neuen Funktion gegenüber der US-Handelsaufsicht eine Blöße gibt, und wenn Google keine wesentlichen Änderungen vornimmt, um Datenmaterial von Wettbewerbern im Bereich soziale Suche einzubinden, wird es den Zorn von Uncle Sam zu spüren bekommen.

(Quelle: eWEEK USA 2012. Ziff Davis Enterprise Inc.)

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