Cloud Computing: eine Technologie verändert den IT-Markt

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Als im Frühjahr und Sommer 2006 zunächst Amazon und dann Google damit begannen, Unternehmenskunden ungenutzte Hardware-Kapazitäten sowie webbasierte Dienste wie EC2, AWS und Google Docs anzubieten, dachten nicht wenige, die beiden Internet-Giganten hätten sich übernommen. Zwar genossen ihre Backend-Systeme – also Server, Speicher und Software – einen nahezu legendären Ruf. Doch im schwierigen Geschäft mit Hosting-Diensten und Managed Services hatten beide wenig Erfahrung. Führende Computerhersteller und alteingesessene Systemhäuser bewerteten die neue Konkurrenz dementsprechend skeptisch – und mokierten sich hinter vorgehaltener Hand auch schon einmal über die fachfremden Alleskönner.

Fünf Jahre später hat sich der Wind gedreht. Der zuerst mit Amazons EC2-Platform eingeführte Terminus »Cloud Computing« ist zu einem Schlüsselbegriff geworden, den jeder Nachrichtenzuschauer kennt. Und die große Mehrheit der User hat sich mit der Technik und dem Konzept vertraut gemacht – ob als Nutzer von Online-Speicherdiensten wie Dropbox und iCloud oder durch den Einsatz von Apps auf Smartphones und anderen mobilen Endgeräten. Als Folge davon vergeht inzwischen kein Monat, ohne dass wenigstens zwei, drei neue Cloud-Dienste erfolgreich an den Start gehen, die ein immer breiteres Funktionsspektrum abdecken: Neben vergleichsweise simpel gestrickten Storage- und Webmail-Services aus der Anfangsphase finden sich inzwischen Bildbearbeitungswerkzeuge, Projektmanagement- und CRM-Software sowie komplette Entwicklungsplattformen. Selbst gemeinhin als konservativ eingestufte Branchengrößen knüpfen an den Trend an; so ist SAP seit einem Jahr mit Business ByDesign, einer auf kleine und mittlere Unternehmen zugeschnittenen On-Demand-Version seiner ERP-Suite, am Start, und Microsoft stellte Ende Juni 2011 mit Office 365 eine Art Cloud-Variante seiner Standard-Bürosoftware vor.

Der ebenso rasante wie flächendeckende Vormarsch der neuen Technik setzt nun auch Hardware-Hersteller und IT-Dienstleister unter Druck. Damit konnte man zwar rechnen, doch gleichwohl überraschen Tempo, Ausmaß und Radikalität des Wandels, den die Branche zurzeit durchläuft. Wie tiefgreifend dieser ausfällt, verdeutlichte vor kurzem ein White Paper von Fujitsu Technology Solutions mit dem Titel »Fujitsu Dynamic Infrastructures: a consistent approach to meeting new IT demands«, das eigentlich einen Einblick in die Plattform-Strategie des japanischen Konzerns geben sollte. Interessanter als die Marketing-Botschaft ist indes die detaillierte Marktanalyse, mit der die Autoren aufwarten, da sie Unternehmen wichtige Anhaltspunkte für die mittel- und langfristige IT-Planung gibt.

Bestandsaufnahme: Wie weit ist Cloud Computing wirklich?

In ihrer Bestandsaufnahme fragen die Autoren des Whitepapers zunächst nach den Ursachen für den Erfolg des Cloud Computing und greifen dabei auf Datenmaterial von Fujitsu und Gartner zurück. Auf dieser Basis kommen sie zu folgenden Schlüssen:

  • Cloud Computing bedient einen langfristigen Trend: Die Bereitstellung von Speicher- und Server-Kapazitäten, Daten und Anwendungen via Internet hat dazu geführt, dass Anwender nicht mehr in traditionellen »Produktgeschäfts-Kategorien« denken. Stattdessen erwarten sie, dass bestimmte Funktionalitäten schnell, unkompliziert und flexibel zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden – ohne die infolge der anhaltenden Finanz- und Schuldenkrise gekappten IT-Budgets über Gebühr zu belasten. Hersteller und Dienstleister müssen sich diesen Wünschen anpassen.
  • Die Auswahl ist größer geworden: Der dauerhafte Erfolg von Google und Amazon, aber auch von »Nachrückern« wie Rackspace und Salesforce.com zeigt, dass der Cloud-Markt offen für Quereinsteiger und Start-ups ist. Die alteingesessenen Anbieter stehen somit unter doppeltem Anpassungsdruck, sich mittel- bis langfristig in »IT-Provider« zu verwandeln. Mit diesem Begriff bezeichnen die Autoren einen neuen Typus Komplettanbieter, dessen Portfolio sich von Desktop-Systemen und Rack-Servern über Software und Dienstleistungen bis hin zu kompletten Cloud-Lösungen erstreckt– alles aus einer Hand und passgenau aufeinander abgestimmt.
  • Der Markt wandelt sich grundlegend: Durch den Druck wächst die Bereitschaft der Branche, bewährte Geschäftsmodelle zu überdenken, ungewöhnliche Partnerschaften einzugehen und mit Wettbewerbern zu fusionieren. So hat etwa Dell seine Produktpalette in den vergangenen Jahren kontinuierlich um Server, Storage-Arrays und Netzwerkkomponenten erweitert und – vor allem im Heimatmarkt USA – kräftig in den Service-Bereich expandiert, zum Beispiel mit Diensten für das Asset und Security Management oder die Verknüpfung von lokalen und gehosteten (Cloud-)Anwendungen wie Fakturierungs- und elektronischen Bestellsystemen. Datenbankspezialist Oracle sicherte sich durch den Kauf von Sun Microsystems neben einer leistungsfähigen Hardware-Sparte die Kontrolle über wichtige Software-Technologien wie Java, Solaris, MySQL und diverse Virtualisierungs- und Automatisierungskomponenten. In Verbindung mit dem eigenen reichhaltigen Softwareangebot entstehen auf dieser Basis die mächtigen Maschinen der Baureihen Exadata und Exalogic, die eigens für die Verarbeitung Cloud-typischer extremer Datenmengen entwickelt wurden. Cisco, VMware und EMC haben im Rahmen ihrer Virtual Computing Environment Coalition eine Best-of-Breed-Plattform entwickelt, die aus Komponenten aller drei Hersteller besteht und seit neustem u. a. über den erfahrenen Dienstleister CSC vertrieben wird. SAP schließlich hat sich durch die Übernahme von Sybase dringend benötigte Kompetenzen für die Entwicklung mobiler Anwendungen und die Anbindung von Laptops, Smartphones und Tablets an unternehmenseigene Datenbanken gesichert.

Bei soviel Bewegung ist nur logisch, dass mittlerweile auch jene großen Hardware-Hersteller, deren vertikal integrierte Produkt-, Service- und Lösungsportfolios am ehesten dem Bild des IT-Providers entsprechen, ihre Strategien den gewandelten Anforderungen angepasst haben. Gemeint sind hier IBM, HP und Fujitsu selbst, die sich mit großer Selbstverständlichkeit als Anbieter flexibler, skalierbarer Infrastrukturlösungen präsentieren, welche für Mittelständler wie Großunternehmen gleichermaßen geeignet sind und als IaaS- bzw. SaaS-Pakete deutlich weniger kosten. Aus Kundensicht herrschen also auf den ersten Blick paradiesische Zustände. Doch stimmt dies tatsächlich?

Wunsch und Wirklichkeit

Diese Frage lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht eindeutig beantworten. Erste Risse bekommen allzu optimistische Einschätzungen bereits, wenn man die Details einzelner Angebote betrachtet, wie folgende Beispiele zeigen:

  • Microsoft positionierte das bereits erwähnte Paket Office 365 als flexible Software-as-a-Service-Lösung (SaaS), die es sowohl in puncto Skalierbarkeit als auch bei der Preisgestaltung mit Google Apps for Business aufnehmen kann, indem sie kostspielige Lizenzen durch überschaubare monatliche Abo-Gebühren ersetzt. Die enge Verwandtschaft mit Microsofts regulärer Office-Suite sorge überdies dafür, dass anders als beim Konkurrenzprodukt keine Kompatibilitätsprobleme auftreten. Nur hat das Angebot leider mehrere Haken: Zugang zur Online-Variante erhalten nur Anwender, die eine aktuelle Desktop-Version von Microsoft Office einsetzen, was sowohl die Flexibilität als auch den Kostenvorteil spürbar einschränkt. Die höhere Kompatibilität lässt sich Microsoft mit einem 20-prozentigen Preisaufschlag vergüten. Bei Freiberuflern und Kleinbetrieben mit bis zu 50 Nutzern schlägt dies zwar lediglich mit 1 Dollar pro Person und Monat zu Buche, aber auch das läppert sich. Ab dem 51. Nutzer müssen Unternehmen zudem in einen von vier »enterprise plans« wechseln, deren preiswertester 10 Dollar pro Person kostet – aus 3600 Dollar p. a. für 50 Nutzer werden so 6120 für 51. Kunden außerhalb der USA bittet Microsoft sogar noch kräftiger zur Kasse: In Deutschland liegt der Basispreis von Office 365 bei 5,25 Euro – beim aktuellen Wechselkurs entspricht dies 7,35 Dollar (+ 22,5 Prozent). Zudem setzt Microsoft die Obergrenze für den Wechsel in die höhere Preisstaffel bereits bei 24 Nutzern an; wer den 25. Mitarbeiter einbeziehen will, zahlt 9 Euro pro Person und Monat. Aufs Jahr gerechnet liegt die Differenz bei 1188 Euro. Rabatte für Abnehmer von Volumenlizenzen sind zwar vorgesehen, jedoch nur für Unternehmen mit mehr als 250 PC-Arbeitsplätzen. Die Preisgestaltung ist damit nicht nur kompliziert, sondern für kleine und mittlere Betriebe denkbar unattraktiv – ein Zeichen, dass Microsoft sein Kerngeschäft nicht gefährden will, was freilich niemand erwartet hat.
  • Doch auch die Angebote der Konkurrenz haben ihre Tücken. Das beste Beispiel sind die sog. Chromebooks, die Google zusammen mit Acer und Samsung ebenfalls im Juni vorstellte. Dabei handelt es sich um Laptops, die mit einem von Google entwickelten Linux-Kernbetriebssystem bestückt sind, auf dem als einzige native Anwendung der Browser des Suchmaschinenriesen läuft, der wiederum die Schnittstelle zu Google Apps for Business bildet. Das funktioniert aber nur so lange gut, wie eine stabile Internetverbindung mit ausreichend Bandbreite besteht. Andernfalls werden die schlanken Notebooks schnell zur toten Last, da es ihnen zurzeit noch an Offline-Fähigkeiten mangelt. Da die Geräte mit Preisen von 400 Euro für die einfache WLAN-Version und 450 Euro für das Modell mit UMTS-Modem nicht gerade Schnäppchen sind, stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Anschaffung lohnt. Erschwerend kommt hinzu, dass Reparaturen nicht vorgesehen sind; Anwender können beschädigte Chromebooks also nur austauschen, was wiederum die Umweltbilanz belastet. In Europa legt sich der Käufer zudem auf Samsung als Lieferanten fest – Modelle von Acer sind bis auf Weiteres nicht verfügbar. Und last not least funktionieren Google Apps for Business auch auf konventioneller Hardware, mit der man Textdokumente, Spreadsheets etc. bequem ohne Internetverbindung bearbeiten kann.

Doch nicht bloß diese Rechenbeispiele machen nachdenklich. Der Wechsel zu Cloud-Infrastrukturen kann auch aus anderen Gründen problematisch werden. Diese lassen sich wiederum in drei Kategorien einteilen, nämlich
rechtlich-organisatorische, geschäftspolitische und technische Gründe.Umstieg mit Hindernissen

Aus juristischer Sicht stellt vor allem die Einhaltung von Datenschutz- und Compliance-Vorschriften ein ernstes Problem dar. Nicht umsonst warnen alle seriösen Anbieter davor, geschäftskritische und steuerlich relevante Daten im Ausland zu lagern, wo unter Umständen laxere Vorschriften gelten und Behörden, aber auch Konkurrenten entsprechend einfacher an vertrauliche Informationen gelangen können. Daraus ergeben sich weitere wichtige Fragen, die in detaillierten Service Level Agreements zu klären sind, etwa danach, ob Daten und Anwendungen lediglich gehostet oder aktiv gemanagt werden sollen, nach ihrer Verfügbarkeit und einem möglichen Verlustrisiko sowie danach, ob und bis zu welcher Höhe finanzielle Folgen eines Ausfalls der gemieteten Infrastruktur oder eines Datenlecks gedeckt sind. Erfahrene IT-Manager kennen diese Fragen zwar aus regulären Outsourcing-Projekten, sollten aber vor allem die Aspekte Datenschutz und Verfügbarkeit nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn gerade hier lauern Risiken durch das Cloud-typische Verschieben von Informationen über Landesgrenzen hinweg.

Schwierigkeiten bereiten kann auch die Geschäftspolitik einzelner Anbieter. Diese verfolgen beim Ausbau ihrer einschlägigen Offerten durchaus unterschiedliche Strategien. Experimentierfreudigen Vorreitern wie Salesforce.com stehen jene Firmen gegenüber, die den Wandel schrittweise nachvollziehen. Das Beispiel Microsoft wurde bereits genannt – Steve Ballmer treibt den Wandel zwar voran, versucht aber gleichzeitig, das Kerngeschäft mit Betriebssystemen und Office-Software nicht zu gefährden. Dell konzentriert sich derzeit auf den Heimatmarkt USA; und internationale IT-Dienstleister entwickeln Lösungen für angestammte Geschäftsfelder, so etwa T-Systems für die Automobilindustrie oder Accenture für Banken und Versicherer. Integrierte Komplettpakete für alle Betriebsgrößen und Branchen finden Kunden vorerst nur bei einer Minderheit der frischgebackenen Cloud-Dienstleister – vorzugsweise aus dem Hardware-Umfeld.

Letztlich sprechen in manchen Fällen auch technische Argumente gegen einen Umstieg. Das gilt zum Beispiel für selbst entwickelte Legacy-Software, die nie für die Nutzung in verteilten Umgebungen vorgesehen war, für extrem sicherheitskritische Programme zur Steuerung von Maschinen und Anlagen oder für bildgebende Verfahren und CGI-Rendering. Generell ist also nicht mit einem abrupten Aussterben lokaler Infrastrukturen zu rechnen, sondern mit einem allmählichen, gleitenden Übergang zum Cloud Computing zu rechnen.

Daraus ergibt sich die Frage, wie Anwender auch in Zeiten des Umbruchs sicherstellen können, dass geschäftskritische IT-Funktionen und ‐Kapazitäten dauerhaft und verlässlich zur Verfügung stehen. Der Rat an IT-Leiter und CIOs kann bis auf Weiteres nur lauten, eine konservative Strategie zu verfolgen und auf etablierte Partner zu setzen, die über einen soliden Hardware-Background verfügen. In Europa und Deutschland erfüllen diese Bedingung zurzeit vor allem HP, IBM und Fujitsu, die zudem alle über klare Konzepte für den geordneten Übergang zu Cloud-Architekturen verfügen.

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