Gesundheitskarte kommt 2010 oder 2011
Ingo Kailuweit ist Vorstandsvorsitzender der Kaufmännischen Krankenkasse und ein überzeugter Verfechter der Gesundheitskarte. Das Projekt kommt nur langsam in Schwung, nicht zuletzt wegen vieler Bedenken der Datenschützer. Kailuweit bemüht sich diese Sorgen zu zerstreuen. Seiner Meinung nach überwiegen für den Patienten die Vorteile. So könnte die Karte verhindern, dass Untersuchungen doppelt erfolgen oder unterschiedliche Ärzte Medikamente verordnen, die sich gegenseitig schaden.
eWeek Europe: Um die Gesundheitskarte ist es still geworden. Erst war das Projekt in aller Munde – nun hört man gar nichts mehr. Woran liegt das?
Ingo Kailuweit: Die Gesundheitskarte muss verschiedene Interessen bündeln: Die Ärzte, die Apotheken, die Krankenhäuser, die Krankenkassen, die Mitglieder. Wir waren so weit, dass wir in der Region starten wollten und jetzt gibt es auf der Ärzteseite keine »verpflichtende Mitnahme«, sondern eine freiwillige Lösung.
Man muss natürlich bedenken, dass es hier erheblich Kosten gibt – angefangen vom Lichtbild, von einer neuen Karte, aber auch von der Technik, die dahinter steht.
Wir sind auch im Gespräch mit den Beteiligten, um endlich den Durchbruch zu schaffen. Wir haben investiert, unsere Versicherten warten darauf und wir möchten die Gesundheitskarte endlich auch anwenden.
Jetzt geht es natürlich darum, dass die unterschiedlichen Interessen zusammen geführt werden. Zurzeit sieht der Plan so aus, dass jeder Versicherte Ende 2010, vielleicht 2011 jeder Versicherte eine Karte in der Hand hat. Aber dieser Plan lässt sich durchaus auch noch einmal nach hinten schieben, wie die Vergangenheit gezeigt hat.
Datenschützer reagieren immer sehr skeptisch auf das Projekt. Jeder Apotheker könne sehen, wenn man vor langer Zeit beispielsweise in psychiatrischer Behandlung war.
Zum einen gibt es einen geschlossenen Teil der Gesundheitskarte, den kann man dann auch sperren. Der Versicherte hat die Autonomie über diese Karte und kann auch sagen, was auf dieser Karte bleibt.
Die Gesundheitskarte könnte ein altes Problem lösen: doppelte Behandlungen, doppelte Analysen oder mehrere Röntgenbilder. (Bild: KKH)
Was sehr wichtig ist, ist, dass der Patient eine Reihe von Medikamenten bekommt, von denen die unterschiedlichen verordnenden Ärzte gar nicht wissen. Und so kommt es teilweise zu Kontraindikationen, das heißt, die Arzneimittel heben sich gegenseitig auf bzw. sie schaden noch mehr.
Ich glaube, dass der Mehrwert für den Kunden erheblich ist. So können alle Ärzte des Patienten auf die gleiche Informationsquellen zugreifen und ihn optimal behandeln. Ich bin ja nicht nur Chef einer Krankenkasse, ich bin auch Mitglied der KKH und Bürger dieser Bundesrepublik. Deshalb wünsche ich mir, dass meine Krankheitsgeschichte von allen Beteiligten, die mir helfen, wieder gesund zu werden, optimal genutzt wird. Dazu gehört natürlich auch das Speichermedium elektronische Gesundheitskarte.
Das heißt, Sie sehen keine Nachteile?
Ich sehe im Wesentlichen keine Nachteile. Natürlich haben einige Angst vor der Transparenz, aber nicht aus Sicht des Kunden, sondern mehr aus Sicht des Leistungserbringers. Ich kann nur empfehlen, diesen Versuch zu starten. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Gesundheitskarte eine sehr positive Entwicklung nehmen wird. Was zurzeit diskutiert wird, ist reine Theorie. Da sollten wir doch mehr auf den Kunden und seine Krankheitsgeschichte schauen.
Fürchten Sie keine Hackerangriffe auf Karten, Lesegeräte und Netzwerke?
Nein, denn Arzt kann nur auf meine Kartendaten schauen, wenn ich gleichzeitig auch meine Karte dem Arzt gegeben habe. Das gleiche trifft bei der Apotheke zu, das trifft beim Krankenhaus zu.
An meine Daten kommt niemand ran, es sei denn, ich habe in diesem Augenblick den Arzt, das Krankenhaus oder die Apotheke autorisiert. Das mache ich mit meiner Karte oder meinem PIN, je nach dem, was ich dazu einsetze.
Lesen Sie auf Seite 2: Die Kosten des Projekts
Welche Kosten hat das Projekt bisher verursacht?
Es gibt eine Analyse, die geht von 1,7 bis zu sechs Milliarden Euro für die Einführung des gesamten Systems der Gesundheitskarte aus. Wir haben gut 200 000 Ärzte, 2000 Krankenhäuser – alle haben Lesegeräte, alle brauchen Technik. Da steht natürlich eine erhebliche Infrastruktur dahinter.
»Ende 2010 eine Karte für jeden« KKH-Chef Kailuweit. (Bild: KKH)
Auf der anderen Seite müssen wir diese Investitionen tätigen. Wir können zwar minimal Verwaltungskosten einsparen, weil wir keine Rezepte mehr ablegen oder scannen müssen. Aber der Zusatznutzen liegt darin, dass typische Probleme wie Doppelbehandlungen, Falschbehandlungen, Doppelanalysen, mehrere Röntgenbilder und so weiter – vermieden werden und dass der Patient somit schneller und erfolgreicher behandelt wird. Von daher ist es eine gute Investition in die Zukunft.
Die Gesundheitskarte ist eine Art digitaler Speicher für die Krankengeschichte. Sehen Sie in Zukunft noch weiteren Zusatznutzen wie die Verknüpfung mit Dienstleistungen oder Social Networks?
Wir plädieren dafür, dass die Karte online ist. Die Daten sind irgendwo gespeichert und auf der Karte selbst wird festgehalten, ob ich jetzt Organspender bin o.ä. Der Zusatznutzen entsteht, wenn der Patient sich freiwillig dafür entscheidet, eine Krankenakte zu haben, in der alle Informationen über ihn gespeichert sind.
Und wir werden sicherlich als Krankenkasse Mehrwertdienste anbieten. Da gibt es viele Möglichkeiten, aber da ist die Umsetzung noch nicht so weit, da die Karte noch nicht da ist.
Können Sie konkrete Beispiele geben?
Denkbar sind Lösungen für Zuzahlungsbefreiungen, besondere Diagnosen wie Allergien – aber auch als Geldmittel. Der Zusatznutzen wird immens sein. In erster Linie aber dient sie der schnellen Hilfe: Wenn man beispielsweise einen Unfall hat und traumatisiert ist, dann weiß jeder Unfallarzt anhand der lebenswichtigen Daten auf der Karte: »Achtung, das darfst Du jetzt nicht tun, darauf musst Du jetzt achten!«. Das wird den Patienten massiv helfen.
Danke für das Gespräch.
Das Interview führte eWEEK-Mitarbeiter Frank Reich.