Rechnen in LichtgeschwindigkeitCERN: Big Bang in Genf

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Geheimnisse des Universums

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Eines der größten Geheimnisse des Universums wird vielleicht schon bald gelüftet. Im CERN (Centre Européen pour la Recherche Nucléaire) in der Nähe von Genf. Schon der Versuchsaufbau fasziniert. Ein 27 km langer ringförmiger Tunnel, 60 bis 100 Meter unter der Erde. Darin werden Atomteilchen (Protonen) auf zwei gegenläufige Bahnen geschickt und so lange beschleunigt, bis sie fast Lichtgeschwindigkeit haben. 11 000 mal in der Sekunde rasen die Teilchen durch den Tunnel. An vier Stellen im Tunnel kreuzen sich die Teilchenstrahlen und kollidieren. Dabei zerfallen die Protonen in Splitter. Möglicherweise entstehen neue Teilchen.

So muss es im Universum unmittelbar nach dem Urknall vor 14 Milliarden Jahren “ausgesehen” haben. Die Physiker, die hier am weltweit größten Forschungszentrum für Teilchenphysik forschen, interessieren sich in erster Linie für die neu entstehenden Teilchen.

GRID-Computing weltweit
In einem Hightech-Kontrollzentrum überwachen Techniker und Wissenschaftler die Experimente. Spätestens hier kommt die PC-Technik ins Spiel. Denn die Daten aus den Teilchenkollisionen werden in riesigen Serverfarmen gesammelt, in GRID-Computing-Systemen analysiert und auf Bandlaufwerken archiviert – ingesamt 15 Petabyte pro Jahr, das sind 10 hoch 15 Byte. Eine weltweite Forschergemeinde will diese Daten analysieren und erhofft sich so Aufschluss darüber, was genau unmittelbar nach dem Urknall passiert ist und wie das Zusammenspiel zwischen der geheimnisvollen Antimaterie und der Materie funktioniert.

Derzeit laufen die Vorbereitungen für den Start des LHC (Large Hadron Collider) auf Hochtouren. Anfang 2008 soll es soweit sein. Einige Experimente sind bereits in Betrieb, wie beispielsweie ALICE (A Large Ion Collider Experiment).


Gigantische Dimensionen: Detektor im CERN (Foto: CERN)

Besuch im Teilchenbeschleuniger

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Der Bus zum Big Bang
Auf dem Weg zu den Geheimnissen des Universums nehmen wir den Bus Nummer 10. Ein großer Fehler. Mehrere Wochen hatten wir, News-Redakteur Thomas Kretschmann und ich, diesem Termin entgegengefiebert. Doch statt nach dem einstündigen Flug München – Genf ins Taxi zu springen und zehn Minuten später anzukommen, suchen wir am Genfer Flughafen erst mal die Bushaltestelle. Umsteigen müssen wir auch noch. Das hat zur Folge, dass wir eine Dreiviertelstunde zu spät kommen. Pressebetreuerin Sophie Tesauri wirkt dementsprechend leicht verdrossen. Kein Wunder, wir haben ihren dichtgepackten Besuchsplan durcheinandergebracht. Doch sie bleibt freundlich und bringt uns gleich zu unserem ersten Gesprächspartner, dem deutschen Beschleuniger-Physiker Rüdiger Schmidt. Er ist zuständig für die Inbetriebnahme des Beschleunigers und die Sicherheit der Anlage. Schmidt zeigt uns, was jeder Besucher sehen will: den Tunnel. Hier, in 60 bis 100 Metern Tiefe, ist der leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger aller Zeiten untergebracht, der Hadronen-Speicherring LHC (Large Hadron Collider).


60 Meter unter der Oberfläche: der Tunnel

Magneten kälter als das All
Im Tunnel halten riesige Ringkernmagneten den Protonen-Strahl auf Kurs. Die Magneten werden auf minus 271 Grad heruntergekühlt, das ist ein Grad kälter als im Weltall. Bei dieser Temperatur sind sie supraleitend und benötigen daher weniger Energie.
Der Protonen-Strahl ist zwar dünner als ein menschliches Haar. Trotzdem besitzt er soviel Energie wie ein Kleinwagen bei 1600 km/h. Einer der Gründe, warum sich während des Experiments niemand im Tunnel aufhalten darf, denn trotz der massiven Ummantelung könnten radioaktive Elemente austreten, erklärt Schmidt.
Aber die technischen Probleme, die den deutschen Elite-Physiker plagen, sind oft ganz trivialer Natur. Wird beispielsweise bei einem der zahllosen Agregate eine Steckverbindung locker, muss das Technik-Team exzellent organisiert sein, will es den Übeltäter schnell finden.


Komplexe Kühlsysteme

Suche nach dem Higgs-Teilchen

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Wenn die Teilchen aufeinander prallen, treten die Detektoren in Aktion. Der größte ist der Muon-Detektor des ATLAS-Experiments: 46 m lang und 25 m hoch. Der deutsche Teilchenphysiker Thilo Pauly zeigt uns die Anlage. Pauly bereitet die Experimente mit vor und ist auch an der Auswertung beteiligt. Vielleicht gehört er eines Tages zu dem Team, das das bis jetzt nur theoretisch vorhergesagte Higgs-Teilchen aufspürt, eines der zentralen Forschungsziele der Genfer Teilchenjäger.


Sophie Tesauri, Thilo Pauly, Thomas Kretschmann (v.l.n.r.)

Mittagspause mit Nobelpreisträgern
Dann lädt Sophie Tesauri uns zum Mittagessen im CERN-Restaurant ab. Hier speist Europas Wissenschaftselite. Nobelpreisträger und solche, die es werden wollen. Den nächsten Nobelpreis wird wohl bekommen, wer bei einer Protonen-Kollision das ominöse Higgs-Teilchen entdeckt hat. Quasi nebenbei hat der britische Informatiker Tim Berners-Lee 1989 das World Wide Web am CERN erfunden. Der ist jetzt Vorsitzender des Internet-Technik-Gremiums W3C. Wie in allen großen Unternehmen dieser Welt liegt auch hier eine Art Hauszeitschrift aus. Sie berichtet unter anderem über die Aktivitäten des Womens Clubs, des Velo Clubs oder des Running Clubs. Außerdem erfahren wir, dass ein Teil der Mitarbeiter gerade auf Office 2007 umsteigt.
Nach etwa einer halben Stunde holt uns Pressebetreuerin Renilde vanden Broeck ab. Gutgelaunt plaudernd chauffiert sie uns in ihrem Kleinwagen zum nächsten Termin über das riesige CERN-Gelände. Und zwar in einem Tempo, als wolle sie uns das Konzept der Teilchenbeschleunigung auf der Straße verdeutlichen.

Computerzentrum mit 1 GB pro Sekunde

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Blade-Rechner mit Intels Xeon-CPUs
Wenige Minuten später begrüßt uns Ulrich Fuchs, einer der führenden Mitarbeiter des ALICE-Computer-Teams. Er zeigt uns die Computeranlagen, die alle Daten des gleichnamigen Experiments sammeln. Die Reihen prall gefüllter Computer-Racks – Blade-Rechner mit Intel Xeon-CPUs – müssen ungeheure Datenmengen in kürzester Zeit aufnehmen. 40 Millionen Kollisionen registrieren die Detektoren pro Sekunde. So werden allein bei ALICE jede Sekunde mehrere Milliarden Bits generiert. Der Zusammenprall von Blei-Ionen erzeugt 10 mal so viel Daten wie eine Protonen-Kollisionen. In Testläufen hat das System aber bereits 1 GB pro Sekunde erreicht, erklärt Fuchs.


Ulrich Fuchs vom ALICE Computer-Team

Die Daten gehen über Glasfaserkabel ans CERN-Rechenzentrum. Etwa eine halbe Stunde dauert es, bis die Kollisions-Daten dann schließlich nach Relevanz gefiltert und sortiert auf den Bildschirmen der Wissenschaftler landen.

Leistungsfähigste Roboter und Bandlaufwerke
Dann rasen wir mit Renilde vanden Broeck zu Helge Meinhard. Er ist Chef des IT-Zentrums und Herr über einen zweistelligen Millionenbetrag bei den Anschaffungen. Er führt uns durch die Räume, in denen die Daten gespeichert werden. 3500 Server-Maschinen sind hier gut gekühlt im Einsatz – fast ausnahmslos 2-Prozessor-Maschinen.
Pro Jahr entstehen etwa 15 Petabyte (10 hoch 15 Byte). Zum Archivieren nutzt das IT-Department Bandlaufwerke und Roboter von Sun und IBM. Diese zählen zu den “leistungsfähigsten Laufwerken und Robotern, die man kriegen kann”, erläutert Meinhard. Bei jedem IT-Leiter in der Privatwirtschaft hätte man jetzt Stolz herausgehört. Nicht so bei Meinhard. Er bleibt völlig sachlich und nüchtern wie übrigens auch alle Gesprächspartner vor ihm. Den CERNern geht es erkennbar um das Ziel, Technik-Prahlereien sind nicht ihr Ding.


Helge Meinhard, IT-Department

Globaler Zugriff durch GRID

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GRID-Pioniere
Derzeit ist das IT-Department mit dem Aufbau des World Wide Grid beschäftigt, einem System für verteiltes Rechnen. Damit können Forscher von ganz verschiedenen Stellen des Globus auf die Daten zugreifen. Fordert jemand Daten zur Analyse an, werden diese komplett auf eine Festplatte übertragen. Dann kann der Wissenschaftler damit arbeiten. Erst wenn alle Schreib- und Lesevorgänge abgeschlossen sind, werden die Daten wieder zurück auf die Bänder gespielt.


Gut gekühlt aber laut: 3500 Servermaschinen im Einsatz

Supercomputer sind überflüssig
Gigantische Supercomputer sind für die Teilchenjäger nicht nötig, erklärt Meinhard. Denn jede Teilchenkollision erzeugt nur einige MByte an Daten – leicht zu verarbeiten. Charakteristisch für die Anforderungen am CERN ist eher das monströse Gesamtvolumen der Daten, die Schnelligkeit mit der sie entstehen und die Tatsache, dass viele Anwender gleichzeitig damit arbeiten wollen. Das erfordert schnelle Leitungen sowie skalierbare Rechenpower und Speicherkapazitäten.


15 Petabyte pro Jahr: IBMs Tape Library

Ist Antimaterie gefährlich?

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War Dan Brown hier?
Fünf Stunden geballte Infos, die VNUnet-Reporter sind vom Tunnel-Trip einigermaßen erschöpft. Zum Abspannen spendiert Pressebetreuerin vanden Broeck noch eine Spazierfahrt übers riesige CERN-Areal. Lange hatten wir uns die Frage verkniffen, doch jetzt wollen wir es doch wissen. Was ist dran an den Spekulationen von den gefährlichen Experimenten mit Antimaterie? Schließlich hatte der Bestsellerautor Dan Brown in seinem Roman “Illuminati” darüber geschrieben. Selten dumme Frage, aber vanden Broeck bleibt gelassen. Denn diese Frage stellen sie alle, egal ob Reporter oder Schulklassen. Ja, natürlich stellt man Antimaterie her, aber gefährlich ist daran nichts. Dafür sind die Mengen viel zu klein. Bis heute übrigens rätseln die CERN-Manager, ob Dan Brown wirklich hier gewesen ist, als er für “Illuminati” recherchiert hat. Gesehen hat ihn nämlich keiner. Jedenfalls hat Brown das fertige Buch später geschickt und sich artig bedankt.

Taxi zum Urknall
Anfang 2008 soll der LHC fertig sein. Dann wird Beschleuniger-Physiker Rüdiger Schmidt mit sorgenvoller Miene über Kühlsysteme und Teilchenstrahlen wachen, Thilo Pauly wird nach dem Higgs-Teilchen Ausschau halten und die PC-Experten Helge Meinhard und Ulrich Fuchs werden dafür sorgen, dass alle Daten in Sekundenschnelle im GRID-Computing-Netz verfügbar sind. Und die VNUnet-Reporter werden beim nächsten Besuch ganz sicher nicht den Bus nehmen.

Mehmet Toprak/Thomas Kretschmann


VNUnet-Reporter Thomas Kretschmann im modischen CERN-Helm

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