Linux im Unternehmen
Praxisbetrieb von Linux

BetriebssystemOpen SourceSoftwareWorkspace

Umstieg auf Linux

Linux im Unternehmen

Trotz aller Vorbehalte: Immer mehr Unternehmen entscheiden sich für Linux. Hat das Open-Source-Betriebssystem in der Server-Welt ohnehin bereits die Oberhand, erobert Linux inzwischen auch andere Bereiche der Unternehmens-IT. Zunehmend im Mittelpunkt stehen dabei die Unternehmens-Desktops. Eine heikle Sache, denn für Linux im Produktivbetrieb gibt es noch keine großen Erfahrungswerte. Kann Linux hier wirklich mit den Microsoft-Produkten konkurrieren?

Der Umstieg von Windows auf Linux funktioniert wirklich
Wir wollen es einmal ganz praktisch wissen. Und haben bei den IT-Leitern von Linux- Umsteigern nachgefragt. Welche Erfahrungen haben sie mit Linux gemacht? Wo liegen die Probleme? Wie hoch ist die Kostenersparnis gegenüber einer Windows-Plattform mit entsprechenden Anwendungen? Und wird Linux von der Belegschaft überhaupt akzeptiert? Linux Professionell hat zwei mittelständische Unternehmen und eine Behörde ausgewählt, umder Sache auf den Grund zu gehen. Sie alle haben ihre gesamte IT-Infrastruktur auf Linux umgestellt ? oder sind gerade dabei. Bei jedem Unternehmen stehen andere Aspekte der Linux-Migration im Vordergrund. Beim Hamburger Geschenkartikelvertrieb Tröber hilft Linux beispielsweise, die Produktivität der Mitarbeiter zu verbessern. AmProjekt LiMux (Linux in München) wird gerade sichtbar, welche Probleme Unternehmen in einer heterogenen Landschaft bei einer größeren Linux-Desktop-Umstellung erwarten. Und der Autologistiker ARS Altmann setzt Linux-Software als Unternehmensportal ein ? und plant ebenfalls die Umstellung auf Linux-Clients

Produktionsschub mit Linux

Linux im Unternehmen

Beispiel 1: Tröber GmbH
Sicherheit und Verfügbarkeit waren für die Hamburger Tröber GmbH der entscheidende Grund, ihre gesamte IT auf Linux umzustellen. »Wir wollten keine Bluescreens mehr haben«, sagt Günter Stoverock, IT-Leiter bei Tröber. »Mit Linux gibt es weniger Abstürze und mehr Sicherheit vor Viren. Die Mitarbeiter können produktiver arbeiten. Wir machen die Rechner morgens an und abends wieder aus ? ganz ohne Abstürze und Probleme.« Eine stabile, leistungsfähige IT ist Voraussetzung für das Werbe- und Geschenkartikelunternehmen, das Feuerzeuge, Raucher-Accessoires und Präsentartikel für den Büro- und Heimbedarf importiert und vertreibt. Als zur Jahrtausendwende eine aufwändige Erweiterung der ITLandschaft anstand, hat das mittelständische 60-Personen-Unternehmen entgegen dem Trend keine NT-Server installiert. »Wir haben uns damals aus Sicherheitsund Stabilitätsgründen für IBM-iSeries-Server entschieden und diese Wahl bislang nicht bereut. Die Verfügbarkeit der Server liegt bei 99,9 Prozent, die Netzwerke laufen also praktisch immer«, sagt Stoverock. Der Import/ Export-Betrieb stellte zunächst mehrere Server auf Linux um, darunter die Server für das Content-Management-System, Name- und FTP-Server. ZumEinsatz kamen Debian, RedHat Enterprise Application Server und Suse Linux Enterprise Server. Die damaligen Clients liefen noch unter Windows NT. Das Know-how und die Erfahrung aus dem Server-Bereich wurden aber genutzt, um auch die Arbeitsplatz-Rechner zu migrieren. 1999 begann die Tröber GmbH, StarOffice auf allen 60 Desktops einzusetzen ? zunächst aufWindows-NT-4- Systemen. ZumJahresende 2003 stellte das Unternehmen dann auch seine 60 Client- Rechner komplett von Windows NT 4 auf Suse Linux mit KDE-Desktop um. Heute sind als Anwendungsprogramme die kostenlosen Open-Source-Produkte OpenOffice und Mozilla Internet-Browser im Einsatz. Die Software zum Zugriff auf die iSeries-Server läuft über ASCII- und Java-Clients. Hinzu kommen derzeit noch 15 Notebooks für Außendienstmitarbeiter, die zumJahresende ebenfalls komplett auf Linux umgestellt werden. Lizenzkosten haben bei der Entscheidung für die Verantwortlichen kaum eine Rolle gespielt. Dennochprofitiert der Betrieb nun von niedrigeren Kosten durch eingesparte Lizenzen. Allein durch den gekündigten Supportvertrag mit Microsoft spart das Unternehmen jährlich knapp 14 000 Euro. Die Linux-Schulung der Mitarbeiter erfolgt nunmehr kostengünstig im Haus. Eine Kostendämpfung ergibt sich auch durch die leichtere Administration der Software.

Info: Tröber nutzt Crossover Office zur Emulation vonWindows-Programmen auf
Linux-Clients. So lassen sich etwa Photoshop und Adobe Distiller weiter nutzen

Bluescreens ade

Linux im Unternehmen

Linux läuft sicher und stabil
Viel wichtiger sind für IT-Leiter Stoverock jedochdie tätsächlichen Kostensenkungen durch die Minimierung von Ausfällen und Stillstand im Netzwerk oder amArbeitsplatz. »Wenn von unseren 60 Arbeitsplatzrechnernnur zehn amTagneu gestartet werden müssen, weil sie unter Windows einen Bluescreen haben, kommen Sie übers Jahr gerechnet auf gigantische Ausfallzeiten. Wie oft erlebe ichdas mit Partnerfirmen, die noch weitgehend mit einer Windows-Architektur arbeiten. Die kommen öfters nicht an ihre Maschinen, weil das Netzwerk heruntergefahren ist. Das mag vor zehn Jahren normal gewesen sein. Aber doch nicht mehr heute. Unsere Linux-Rechner stürzen nie ab.« Entsprechend hoch ist die Akzeptanz der Mitarbeiter. »Als wir Zug um Zug umgestellt hatten, stellten wir fest, dass alle Mitarbeiter entspannter vor dem Rechner sitzen. Die Geräte reagierten nicht mehr wie unter Windows unerwartet mit einfrierenden oder aufpoppenden Fenstern.«

Updates bei Bedarf
Die liberale Grundhaltung gilt auch für die Software-Architektur. Eine pragmatische Grundeinstellung, Flexibilität und Kosteneinsparungen waren die Hauptgründe, warum sichClient-seitig eine gewisse Software- Vielfalt etabliert hat. OpenOffice läuft lokal in unterschiedlichen Versionen auf den Suse-Betriebssystem-Releases 9.0, 9.1 oder 9.3. Hinzu kommen noch einige StarOffice- Versionen mit unterschiedlichen Release- Ständen und angepassten Vorlagen. »Ein gleicher Release-Stand auf allen Rechnern würde bedeuten, Rechner herunterzufahren und Arbeitszeitausfälle zu haben«, sagt Stoverock. »Wir machen Updates bei Bedarf. Nur wenn am Rechner sowieso wieder etwas zu tun ist, schieben wir ein neues OpenOffice drauf. Wenn keine Probleme vorliegen, kann der Nutzer mit dem Rechner lange arbeiten.« Ganz auf Windows-Software verzichten kann Stoverock allerdings auch nicht. »Adobe Photoshop und der Adobe Distiller zur PDF-Erstellung laufen beispielsweise nur unter Windows«, erklärt der IT-Leiter. »Auf einigen Rechnern müssen wir außerdem im Rahmen der Paketverfolgung den Internet Explorer einsetzen. Mit demMozilla- Browser funktioniert das nicht überall.« Damit diese Programme bei Bedarf eingesetzt werden können, läuft auf allen 60 Clients die Emulations-Software Crossover Office. Zur Paketverfolgung lässt sich damit ausnahmsweise der Internet Explorer in der Windows-Emulation aufrufen.

Dokumenten-Import

Linux im Unternehmen

Gute Erfahrungen hat Stoverock mit dem Austausch zwischen MS-Office- und OpenOffice/StarOffice-Dokumenten gemacht. »Normale Dokumente lassen sich in OpenOffice und StarOffice einwandfrei importieren«, sagt der IT-Experte. »Wir haben viele Partner, die mit Windows und Microsoft Office arbeiten. Für deren Sachbearbeiter müssen wir alle Dokumente in Excel und Word umwandeln. Die konnten bislang immer alles lesen.« Nicht alle Dokumente kommen allerdings im perfekten Zustand an. Gelegentlich treten bei Tröber Konvertierungsprobleme mit Microsoft-Dokumenten auf ? meist bedingt durch fehlerhafte Formatierungen bei der Dokumentenerstellung. »Etwa drei bis fünf Prozent der eingehendenMicrosoft- Office-Dokumente sind formattechnisch vermurkst «, erklärt Stoverock. »Die kommen meist von Kunden wie Edeka, Lidl, Aldi, Schlecker oder Metro. In OpenOffice gibt es dann beispielsweise eine Zeile zu viel in einer Tabelle. Wir haben das mal durch einen Dienstleister a
nalysieren lassen. Dort wurde festgestellt, dass die Formatstringenz oft nicht beachtet wurde.« Gelöst wird das Problem durch Microsoft Office 2000 unter Crossover Office. »Bevor wir lange mit unseren Kunden diskutieren, haben wir gesagt: Für die paar Fälle starten wir eben ausnahmsweise Excel oder Word.« An einem Rechner für Microsoft Office 2000 werden diese wenigen Fälle dann sauber umformatiert und anschließend nach OpenOffice exportiert.

Info: Tröber nutzt Crossover Office zur Emulation vonWindows-Programmen auf Linux-Clients. So lassen sich etwa Photoshop und Adobe Distiller weiter nutzen

Problem Makros

Linux im Unternehmen

Unternehmen, die auf OpenOffice umstellen, rät Stoverock, schon im Vorfeld sorgfältig mögliche Probleme abzuklären. Ein Beispiel sind stark Makro-lastige Dokumente. »Viele Firmen haben eineMenge Makros für bestimmte Dokumentvorlagen programmiert «, sagt Stoverock. »Hier müssen Sie sorgfältig prüfen, ob sich die Makros in OpenOffice integrieren lassen. Kommen Sie zu dem Schluss, dass eine überschaubare Zahl von Makros mit wenig Aufwand nach OpenOffice konvergiert werden kann, lässt sich das in Eigenregiemachen. Sind die Makros aber so komplex, dass eine völlige Neuprogrammierung notwendig ist, oder summiert sich die Anzahl der Makros auf 200 bis 300, sollten Sie sich überlegen, ob Sie das nicht einer Profi-Firma überlassen. Es gibt im Linux-Umfeld viele Dienstleister, die Makro A von Microsoft Office nach Makro B in OpenOffice umschreiben. 2000 Euro ? und das Problem ist gelöst.« Sehr kritisch sieht Stoverock die simple Übernahme vonWindows-Funktionen nach Linux. Windows-Software einfach nach Linux umzustricken, geht nach seiner Einschätzung völlig am Bedarf vorbei. Das von Novell angebotene Red Carpet Enterprise ist für den IT-Leiter ein abschreckendes Beispiel: Ursprünglich ein Windows-Programm zum Abonnieren von Channels, wurde die Software 1:1 nach Linux portiert. »Channels braucht man unter Windows, aber nicht unter Linux«, sagt Stoverock. »UmLinux up to date zu halten, gibt es die Update-Routinen der Distributoren. Die Routinen rufen die entsprechenden Server beim Distributor auf und informieren den Administrator durch optische oder akustische Zeichen über neue Releases und Patches. Stimmt der Admin zu, werden die Updates automatisch installiert ? die Rechner sind in kürzester Zeit auf dem neuesten Stand. Für diese Aufgabemuss ich keine Channels abonnieren.« Wirklich nützliche Linux-Werkzeuge aber sind Mangelware. »Gerne würde ich ein Tool haben, das mich informiert, wie mein Netzwerk auf welchem Rechner läuft, welche Software aktiv ist und auf welchem Release-Stand sie ist. Gibt es ein neues Release oder Patch, sollte das Tool auf meinen Befehl hin das Update auf bestimmten Rechnern installieren. Ein solches Tool gibt es leider für Linux nicht. Wir sind als IT-Leiter bereit, Geld dafür zu bezahlen«, ergänzt Stoverock. »Aber nur für Tools, die sinnvoll sind und uns die Arbeit erleichtern.«

Linux in München

Linux im Unternehmen

Beispiel 2: LiMux ?
Was die Tröber GmbH schon hinter sich hat, steht der Stadt München noch bevor. Allerdings in einem weitaus größeren Rahmen. Statt 60 Rechner wie bei Tröber, werden inMünchen in einem gigantischen Projekt 14 000 Clients auf Linux umgestellt. Bis 2008 soll die Migration, die weltweit für Furore sorgte, abgeschlossen sein. Dabei war die Entscheidung der Stadt München für Linux nicht ganz freiwillig. Sie wurde der Stadt von Microsoft aufgezwungen. Zumindest sieht das Projektmitarbeiter Florian Schießl so. »Uns blieb nichts anderes übrig, als zu migrieren«, sagt Schießl. »Die FirmaMicrosoft hat gesagt, ihr müsst euch nach einem alternativen Betriebssystem umsehen. Euer NT 4 wird nicht mehr supportet.« Nachdem durchgesickert war, dass sich München für Linux entscheidet, sprangen bei Microsoft die Alarmglocken an. Eine fatale Signalwirkung auf andere Kommunen und Behörden wurde befürchtet. Microsoft-Chef Steve Ballmer unterbrach extra seinen Skiurlaub, umMünchens Oberbürgermeister Ude vom Linux- Umstieg abzubringen. Und war dabei zu einer Reihe von Zugeständnissen bereit. Vergebens, wieman heute weiß. »Womit Ballmer nicht gerechnet hat: Dass München eine Alternative hat«, sagt IT-Experte Schießl. »Und er hat nicht mit demMünchner Starrsinn gerechnet.« Die bekannte bayerische Hartnäckigkeit ist für das Projekt auch nötig. Denn die weltweit größte Linux-Migration ? abgekürzt LiMux ? läuft unter schwierigsten Bedingungen ab. Nicht nur die reineGröße des Projektes ist neu. Auch die zu migrierende Infrastruktur ist knifflig. Die IT-Landschaft der Stadt München ist stark dezentral organisiert. Insgesamt 12 Referatemit eigener Software und eigener Benutzerverwaltung sind eigenverantwortlich für ihre IT zuständig. Das alles mit Open- Source-Software unter einen Hut zu bringen, ist eine gigantische Aufgabe, für die es weltweit kein Vorbild gibt.

Info: Die verschiedenen Linux-Maskottchen der Stadt München zeigen deutlich, wo
der Weg hin geht: vonMicrosoft zu Linux ? und das an allen Fronten

Heterogene Landschaft

Linux im Unternehmen

Serverseitig das größte Problem ist die heterogene Landschaft. Die ist zwar frei von Microsoft-Servern. Doch dafür gibt es alles Mögliche andere. »Wir haben nicht einen File-Service und wir haben keine Microsoft- NT-Welt, wo wir eine Domäne ablösenmüssten «, sagt Schießl. »Wir haben überhaupt keine Microsoft-Server, sondern überwiegend Unix-basierte Server-Systeme. Als File- Service nutzt die Hälfte der 12 Referate Novell Netware von 4.5 bis zum Open Enterprise Server. Die andere Hälfte setzt auf Emulationen mit Sun PC Netlink und emuliert NT-4-Domänen.«
Auch Client-seitig ist die Heterogenität groß. Die 14 000 Arbeitsplatzrechner, die derzeit unter NT 4 mit Service-Pack 6 laufen, teilen sich oft Halbtagskräfte. Ein Rechner wird dann von mehreren Mitarbeitern genutzt. Diese setzen etwa 300 verschiedene Software-Produkte ein ? von Microsoft Frontpage über Adobe GoLive bis zu Microsoft Office. Und das in unterschiedlichsten Versionen, MS Office etwa von Release 97 bis 2000. Hinzu kommen Insellösungen und Fachapplikationen, die sonst in der IT-Welt nicht vorkommen. Fachapplikationen sind eigens für die Stadt entwickelte und angepasste Programme wie die Hundesteuerverwaltung. Solche Fachanwendungen werden bei der Stadt sehr häufig eingesetzt. Nach dem Beschluss des Stadtrats startete das Projekt LiMux mit der Phase Feinkonzeption bis zumSommer letzten Jahres. In dieser wurde zunächst die technische Machbarkeit der Migration überprüft und verschiedene Migrationsszenarien wurden durchgespielt. IBM und Suse begleiteten diese Phase methodisch und technisch. Eine wichtige Erkenntnis in dieser Phase war: Open Source ist nicht kostenlos. »Open-Source-Software heißt nicht, ich lade mir mein Knoppix herunter und installiere es auf allen Firmenrechnern«, stellt Schießl klar. »Das geht privat, aber nicht in hochkomplexen Umgebungen. Man spart sich mit Open Source zwar Lizenzkosten, hat aber Anpassungskosten, Kosten für Schnittstellen zwischen Programmen und Schulungskosten. « Ein wesentlicher Kostenfaktor ist die Migration der Dokumente: »Wir haben sehr viele Makros, Vorlagen und Formulare, die derzeit auf MS-Office-Lösungen basieren«, erklärt Schießl. »Die müssen fit gemacht werden für OpenOffice oder für andere offene Office-Lösungen. Ziel ist es, nicht immer alles 1:1 zu migrieren, sondernmehr auf Unabhängigkeit zu setzen.« Das bedeutet im Falle von Office, dass ein Microsoft-Office-Makro nicht zwangsläufig in ein OpenOffice-Makro umgewandelt wird. Gesucht wird vielmehr nach alternativen Lösungen. Bietet es sich beispielsweise an, diese als Java-basierte Anwe
ndung imWeblaufen zu lassen? Das hätte den Vorteil, dass es bei einer anderen Office-Suite auch wieder funktioniert.

Info: 35 Millionen Euro kostet die Linux-Migration in München. Neben Schulungen und Einführungskosten ist die Dokumentenumstellung der größte Kostenfaktor

Nicht-Linux-Software

Linux im Unternehmen

Fachanwendungen: am besten Web-basiert
Mehrere Szenarien wurden im Feinkonzept definiert, wie mit Nicht-Linux-Software verfahren wird. Das oberste Grundprinzip dabei: Eine Bindung an einen Hersteller oder an eine bestimmte Open-Source-Software soll auf jeden Fall vermieden werden. »Am liebsten wäre es uns, wenn wir die AnwendungWeb-basiert machen können«, sagt Schießl. »Ein Beispiel ist die Hundesteuerverwaltung. Solche Fachanwendungen wollen wir nach Möglichkeit ins Web verlagern. Dadurch vermeiden wir die Koppelung an ein bestimmtes Office-Produkt. Das ist die flexibelste und unabhängigste Lösung. Sollte in ein paar Jahren wieder eine Migration anstehen, haben wir damit keinen Aufwand mehr.« Ist eine Web-basierte Migration unmöglich, wäre die nächste Stufe, die Anwendung nativ unter Linux laufen zu lassen. Hier will Schießl notfalls auf Emulationssoftware wie Wine oder Crossover setzen. Oder die Anwendung terminalbasiert einsetzen. Sollte auch das nicht möglich sein, wollen die IT-Experten als letzten Ausweg die Anwendung weiterhin auf einem Microsoft- Betriebssystem einsetzen. Dazu Florian Schießl: »Mein Lieblingsbeispiel ist die Steuersoftware für unsere Druckstraße in der Stadtkanzlei. Das ist ein Rechner, der eine große Druckstraße steuert. Die Software gibt es nur unter Microsoft-Windows-Systemen. Es wäre sehr aufwändig und unwirtschaftlich, das Programm auf Linux zu portieren. Der Rechner soll dann eben weiter unter Windows laufen.«

Akzeptanz forcieren

Linux im Unternehmen

Mit etwa 13 Millionen Euro größter Kostenfaktor bei der Umstellung auf Linux ist die Schulung der Mitarbeiter.Mitte 2003, in der Feinkonzeptphase, wurde hierfür das Teilprojekt »Kommunikation« aufgesetzt. Damit sollte die Akzeptanz von unten forciert werden. Viele Angestellte hatten Vorbehalte gegenüber Linux auf dem Desktop. Beispielsweise, dass Linux keine grafische Oberfläche habe und Textemit Editoren wie vi zu schreiben wären. Um solche Vorbehalte zu zerstreuen, wurde ein Kommunikationsteam gebildet, das den Angestellten Linux mit Newslettern und Info-Veranstaltungen wie Roadshows nahe brachte. »Viele Mitarbeiter waren ganz überrascht, dass es unter Linux auch grafische Bedienoberflächen gibt«, sagt Schießl und erzählt dazu eine Anekdote: »Ein Mitarbeiter aus dem Baureferat kam mit einer Diskette an und fragte zweifelnd: ,Ich habe hier meine ganzen Excel-Dateien drauf, die brauche ich täglich. Kann ich die Dateien auch unter Linux aufmachen?? Auf den Hinweis, ja, es gibt Tabellenkalkulation auch unter Linux, es kann aber Defizite beim Konvertieren geben, legt er die Diskette in den Linux-Rechner, öffnete eine Datei ? und es hat ohne Probleme funktioniert. Der war fortan auf unserer Seite.«

Stadt München ? die IT-Ausgangssituation

Basis-Client mit Debian Linux

Linux im Unternehmen

Aktuell befindet sich LiMux in der Migrationsphase. Das Open-Source-Team ist gerade dabei, zusammen mit Dienstleistern einen stadtweit gültigen Basis-Client zu definieren, an dessen Ende die Office-Migration steht. Bis 2008 ist Zeit, um die einzelnen Bereiche umzustellen. Die Ausschreibung für die Erstellung, Konfiguration und Pflege des Basis-Clients hat die Bietergemeinschaft Softcon und Gonicus im April 2004 gewonnen. Was viele überraschte: Softcon/Gonicus ließen renommierte Mitbewerber wie IBM, Sun Microsystems, EDS und T-Systems hinter sich. Die beiden Dienstleister sollen die städtischenMitarbeiter besonders in der Anfangsphase unterstützen, langfristig sollen diese selbst die Pflege und Wartung der Systeme übernehmen. Der Basis-Client basiert wie bei vielen Bundesbehörden und der Stadt Wien nicht auf einer kommerziellen Distribution, sondernauf dem freien DebianGNU/Linux. Hinzu kommen in München an Anwendungsprogrammen voraussichtlichOpenOffice beziehungsweise StarOffice, die Bildbearbeitung The Gimp und die Mozilla-Suite mit Webbrowser und E-Mail-Client. Gegen Jahresende will das Team die ersten Pilotbereiche auf den neuen Basis- Client umstellen. Dann wird Anfang 2006 der Basis-Client nach und nach eingeführt und die Office-Migration gestartet. Welche Bereiche die IT-Experten zuerst umstellen, hängt maßgeblich von den dort eingesetzten Fachanwendungen und deren Verfügbarkeit unter Linux oder imWeb ab. »Wir werden auch nicht gleich überall den Linux- Client einführen können, sondern eventuell einen Zwischenschritt machen«, sagt Florian Schießl. »Erst vielleicht eine Umstellung auf OpenOffice unter Windows. Und dann im zweiten Schritt die Umstellung des Betriebssystems von Windows auf Linux.« Gestartet wird die Migration mit möglichst einfachen Anwendungen. »Wir wollen zwar die überwiegende Zahl zu Linux- Arbeitsplätzen machen. Aber der normale Dienstbetrieb darf nicht gefährdet werden. Die Kfz-Zulassungsstelle wegen der Linux- Umstellung schließen ? das geht nicht.«

Lesen Sie auch :