Notebooks nach dem IBM-Verkauf
Wen interessieren schon technische Spezifikationen?

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Notebooks nach dem IBM-Verkauf

Als ich mir letztes Jahr in den Ferien einen DVD-Film in Breitwandformat auf meinem brandneuen NEC-I-Select-Notebook ansah, fragte mich ein Besucher, was denn aus meinem guten alten Thinkpad X31 geworden sei. Das ist der Test: Werde ich immer noch ein Thinkpad haben wollen, jetzt, wo IBM nicht mehr IBM ist? Oder verfalle ich den aufregenden technischen Spezifikationen der Produkte von weniger etablierten Konkurrenten? Kurz gesagt kaufe ich Thinkpads, weil sie das Beste auf dem Markt sind oder weil sie von IBM sind?

Die Konkurrenz freut sich

Als die Nachricht bekannt wurde, dass IBM seine PC-Sparte verkauft hatte, gab es von dieser Konkurrenz enthusiastische Reaktionen. Ich sprach mit einigen ihrer Marketing-Leute, und sie waren fast alle völlig aufgeregt. Oder zumindest taten sie so. Insgeheim allerdings werden sie über die Schulter auf Dell schauen.
Die Schlacht um den Desktop-PC läuft fast nach dem Motto: ?Na und?? Was heutzutage zählt, ist der Markt für Mobilgeräte. Und bei denen gibt es Extrapunkte für Styling und Eleganz. Fragt man die Mehrzahl meiner Kollegen (IT-Journalisten) danach, was das angesagteste Notebook ist, das man kaufen kann, wird ein überraschend hoher Prozentsatz antworten, das sei entweder das Thinkpad oder ein Sony Vaio. Fragt man nach dem nächstplatzierten, bezweifle ich, dass mehr als fünf Prozent die selbe Antwort geben werden. Der Rest der Konkurrenz hat jeweils eigene Vorzüge, aber ich glaube nicht, dass eine große Mehrheit erklären wird, dass gutes Aussehen und Design die Hauptgründe dafür waren, den Rechner zu wählen, der ihnen am besten gefällt.

I, B oder M?

Die Frage, vor der IBM und dessen neuer Besitzer stehen, ist, ob die drei Buchstaben I, B und M tatsächlich eine Schlüsselfunktion dieses Aussehens und Designs sind, oder ob das Wort Thinkpad das magische Symbol ist, das Neid und Besitzgier weckt. Sind es Form und Farbe des Notebooks, oder ist es der Umstand, dass es vom ältesten existierenden Computer-Symbol stammt? Schwere Fragen.

Jaguar und Ford

Aber sind Aussehen und Design wirklich bei PCs so wichtig? Die einfache Antwort lautet: ? Nein, kein bisschen; wenn es statt dessen einen echten technischen Vorteil gibt.? Wer einen Notebook-PC produziert, der halb so schwer ist wie die Konkurrenz oder doppelt so schnell läuft oder einen Bildschirm mit doppelter Pixel-Zahl hat oder kinogetreue Animation darstellt, wenn alle andere anderen ruckeln, wer so ein Gerät hat, kann es in eine Blechbüchse stecken oder in eine gelbe Plastikschachtel mit Blümchenaufklebern. Und könnte man den selben Rechner für den halben Preis anbieten, würde man den Markt auch erobern.
Wer aber hat einen technischen Vorsprung? Wie in der Automobilindustrie, wo man einen Jaguar und einen Ford mit einem praktisch identischen Fahrgestell kauft, wird die Technik im Inneren eines Notebook-Gehäuses im wesentlichen von Intel diktiert. Die Wahl, die NEC oder Toshiba oder Hitachi oder Dell haben, beschränkt sich auf die Farbe der Knöpfe wie viele USB-Schnittstellen gibt es, sind sie vorne oder an der Seite, gibt es einen Type-2-PC-Card- oder mehrere Secure-Digital-Leser und natürlich ob das Display der Mode entsprechend groß ist.

Kino zum mitnehmen

Und weshalb ist es modisch, das Display eines Mobilgeräts groß zu machen? Das hat nichts mit PCs zu tun, oder? Es geht um zwei Dinge: Breitwandkino und Apple.
Technisch gesehen ist es bei der Breitwand-(16:9)-DVD eines Films so, dass das normale Bildschirmformat eines PC-Bildschirms (4:3) nicht ideal ist, weshalb ein überbreites Display Sinn macht. Aber die ersten Breitwand-Notebooks, die sich gut verkauften, kamen von Apple, und Apple hat sich fast ausschließlich auf Ästhetik konzentriert: Stil und Eleganz.

Vergängliche Hardware-Specs

Im Hinblick auf PC-Umsätze hatten wir ein gutes Jahr das heißt PCs, nicht einfach PC-kompatible Computer. Beobachtet man aber den Strom von neuer Hardware, der sich durch unsere Labors ergießt, bin ich umso mehr überrascht, wie wenig Innovation es gibt. ?Hast Du keinen SD-Slot an Deinem alten Thinkpad??, fragt ein mitfühlender Kollege, wenn ich ein USB-Kabel heraushole und die Speicherkarte meiner Kamera ans andere Ende anschließe. Nein, habe ich nicht, denn als ich es kaufte, wurden in Kameras Compact-Flash-Karten verwendet, nicht Secure Digital. ?Oh, wie schade.?

Der Walnussfurnier-Getränkehalter

Das erinnert mich an einen alten Freund, der sich mehr über den Getränkehalter in seinem neuen Saab begeistern konnte, als ihn dessen Leistung interessierte. Ich fragte ihn, ob der den Turbo-Motor habe (hatte er natürlich), und er antwortete, nein, wahrscheinlich nicht. Aber er kicherte wie ein Teenager, als er einen Knopf drückte und der kleine Mechanismus seine ?Freude-und-Überraschung?-Nummer abzog und, wie es schien, ein richtiges Tablett aus einem winzigen Schlitz in der Armatur hervorzauberte. Wenn also das neue IBM im Besitz der Chinesen weiterhin ein Symbol für Design und Begehrtheit bleibt und das Computer-Äquivalent des idealen Getränkehalters bietet, glaube ich, dass es eine ernsthafte Konkurrenz für Dell sein wird. Wenn aber ein Notebook-PC wirklich nur dann auf magische Art und Weise begehrenswert ist, wenn er wirklich vom ?echten? IBM ist, dann könnte die Zukunft des Notebook-PC zu Apple wechseln. So lange, bis jemand anders wie vielleicht Sony einen neuen Design-Talisman erfindet. Aber technische Spezifikationen? Wer denkt darüber nach? Ehrlich gesagt sind doch alle gleich, oder? Also weiter zur wichtigen Frage: Sollten wir Walnuss-Furnier für das Gehäuse verwenden?

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