Kommentar: Google und die deutsche Wirtschaft

Neulich kam mir die Idee für einen Cyberthriller. Das Genre ist ja spätestens seit dem Bestseller “The Circle” von Dave Eggers auch in gebildeten Kreisen salonfähig.
Die Handlung wäre ungefähr so:
Im Januar 2017 tritt der nächste US-Präsident sein Amt an. Hillary Clinton ist die erste Frau im Präsidentenamt und gibt sich vom ersten Tag an alle Mühe als Eiserne Lady alle Vorurteile über die Demokraten zu widerlegen. Schon im Wahlkampf hatte sie es verstanden, als knallharte und außenpolitische erfahrene Anwältin der US-Wirtschaft aufzutreten.
Geheimplan aus Washington
Wenige Tage nach ihrer Amtseinführung hält sie bei einem Abendessen für CEOs und Firmengründer der Hightech-Industrie eine kurze Rede, bei der ein Satz aufhorchen lässt. Die Web 2.0-Industrie hätte angesichts des globalen Wettbewerbs die patriotische Pflicht, mehr für die Stärkung der amerikanischen Wirtschaftskraft zu tun.
Was sie damit meint, wird den Managern von Google, Facebook, IBM, Microsoft, Adobe und Co. schnell klar, als sie vom Heimatschutzminister des Weißen Hauses zu einem informellen Gespräch gebeten werden. Von diesem Gespräch gibt es keine Mitschnitte und keine Aufzeichnungen. Offiziell hat es nie stattgefunden. Doch über den Inhalt bestehen keine Zweifel. Die IT-Firmen sollten in Zukunft ihre Dienstleistungen oder Produkte so gestalten, dass die US-Wirtschaft davon profitiert und ausländische Märkte ausgebremst werden.
So schwierig ist das gar nicht. Denn die US-amerikanischen Produkte sind auf der ganzen Welt und besonders auch in Europa und Deutschland verbreitet. Im Internet sind Regionen wie Europa und Deutschland letztlich nichts anderes als virtuelle Kolonien der Weltmacht Silicon Valley.

Task Force gegen Europa
Bei Google-CEO Eric Schmidt findet die Idee sofort Anklang. Besonders auf die Deutschen mit ihren Datenschutzbedenken und ihrem dreisten Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist er nicht gut zu sprechen.
Innerhalb von Wochen wird eine geheime Task Force bei Google eingesetzt. Ihr Ziel ist es, einen Teil der Google-Algorithmen so zu modifizieren, dass Suchanfragen aus DE-Domains und besonders solche von deutschen Unternehmen benachteiligt werden. Die Ergebnisse sollen um etwa eine halbe Sekunde verzögert erscheinen und in den Trefferlisten rücken US-amerikanische und britische Anbieter um zwei der drei Stellen nach oben.
Das geschieht so unauffällig, dass es im Alltag kaum spürbar ist, aber auf Dauer seine Wirkung tut: Die Präsenz deutscher Unternehmen im Web zu schwächen, Suchanfragen aus Deutschland zu behindern, US-amerikanische Anbieter in Trefferlisten zu bevorzugen.
Ein Team von einigen hundert Mitarbeitern macht sich daran, die deutsche Wirtschaft Branche für Branche zu durchforsten und die Domains der Firmen in eine Blacklist einzutragen. Wer dann als Mitarbeiter eines solchen Unternehmens Suchanfragen bei Google stellt, hat das Nachsehen.
Es dauert lange, bis Webexperten in Deutschland Google auf die Schliche kommen. Erst nach aufwändigen Testreihen und langen Analysen können sie belegen, dass da etwas nicht stimmt. Presseberichte, wonach Google und das Weiße Haus eine Art versteckten Wirtschaftskrieg mit Deutschland führen, werden von Google Deutschland als “absurd” zurückgewiesen. Nachweisen kann man es ohnehin nicht. Jahr für Jahr entsteht Deutschland so ein Milliardenschaden.
So ungefähr wäre der Plot. Klingt das völlig an den Haaren herbeigezogen? Dass Google jemals so etwas tun würde, ist sicher sehr unwahrscheinlich. Doch nach den Enthüllungen um NSA, Cyberspionage und jüngst den Trojaner im Kanzleramt, haben wir gelernt, dass aus fiktiven Szenarien häufiger Realität wird, als uns das lieb sein kann.
Deutschland ist nicht vorbereitet
Und dass die USA eines Tages auf die Idee kommen könnten, die globale Verbreitung ihrer Internet-Dienste und Produkte für den eigenen Vorteil zu nutzen, das hat eine gewisse Logik.
Sicher ist nur eines: Deutschland wäre nicht vorbereitet.
Wir sind mehr damit beschäftigt, über die Breitband-Strategie der Bundesregierung zu diskutieren. So soll es bis 2018 “in allen Teilen Deutschlands hochleistungsfähige Breitbandanschlüsse geben”. Prima, da sind wir zwar spät dran, aber besser spät als nie. Auch sonst macht die Bundesregierung seit Jahren viel Wind um den digitalen Wandel. IT-Gipfel und Digitale Agenda, Netzneutralität und innovativer Staat, Smart Data und intelligente Vernetzung, alles schöne Schlagwörter, mit denen die Modernisierung Deutschlands beschworen wird. Ein ganzes Volk als Start-up.
Seltsamerweise wird das Thema Suchmaschine nicht erwähnt. Muss man daran erinnern, dass unsere Wissens- und Informationsgesellschaft auf den freien Zugang zu Informationen angewiesen ist? Wäre es da nicht logisch, auch in Deutschland beziehungsweise Europa eigene, unabhängige Recherche- und Suchdienste aufzubauen.

Versuche, eine europäische Suchmaschine zu entwickeln, hat es in der Vergangenheit durchaus gegeben. Zu nennen wäre das deutsch-französische Projekt Quaero, mit seinen Ablegern Exalead und Theseus. Aber diese Projekte sind längst ad acta gelegt, und Theseus war ohnehin nie ein Suchmaschinen-Projekt, sondern eher eine Art Vorläufer der Digitalen Agenda.
Obwohl das Problem längst erkannt wurde, hat sich also nur sehr wenig getan.
Es gibt in Deutschland zu Google kaum eine Alternative. Microsofts Bing hat kaum Marktanteile gewonnen und die Suchmaschine Metager des Vereins Suma EV hält sich nur mit Spenden und Mitgliedsbeiträgen über Wasser. Obwohl gerade Metager in Deutschland eine leistungsfähige und nicht kommerzverseuchte Suche zur Verfügung stellt, übrigens ganz ohne Datenschnüffelei.
Die Abhängigkeit von Google könnte für die deutsche Wirtschaft noch fatal werden. Die Sekretärin, die nach einem Tagungshotel in der Nähe sucht, nutzt Google. Der Manager, der sich das Angebot der Konkurrenz ansehen will oder nach möglichen Geschäftspartnern in der Branche sucht, tut dies in Google. Der Laborexperte, der nach Forschungsprojekten an Universitäten sucht, nutzt Google. Wer im Internet gefunden werden will, optimiert seine Webseiten für Google. Wer ganz oben stehen will, zahlt für Anzeigen in Google.
Allein 2013 erzielte die IKT-Branche in Deutschland einen Umsatz von 226 Milliarden Euro Umsatz – so viel die klassische Maschinenbau-Branche. Allein in der Hightech-Branche steht also viel Geld auf dem Spiel.
Kartellverfahren eingeleitet
Dass die Quasi-Monopolstellung von Google ein Problem darstellt, ist nichts Neues. Die EU-Kommission hat ein wettbewerbsrechtliches Verfahren gegen Google eingeleitet, das Bundeswirtschaftsministerium und das Kartellamt in Deutschland wollen prüfen, ob IT-Konzerne wie Google ihre Macht missbrauchen.
Sollte man Google zerschlagen, wie manche vorschlagen? Das wäre keine Lösung. Besser wäre es, wenn Politik und ITK-Industrie hierzulande sich auf ihre Hightech-Talente besinnen und endlich anfangen, eigene Suchdienste zu entwickeln, die ein Stück Unabhängigkeit gewährleisten. Gibt es nicht genügend kreative Leute an unseren Exzellenz-Universitäten, die einen solchen Dienst auf die Beine stellen könnten?
Google ist nicht böse
Es geht hier nicht darum, den Suchmaschinenkonzern zu “dämonisieren”. Schließlich bringt Google eine ganze Menge kostenloser und extrem nützliche Dienste gratis ins Haus. Dass ein börsennotiertes Unternehmen Geld verdienen möchte, ist auch nicht verwerflich. Google ist im Prinzip ein sympathisches und ziemlich skandalfrei agierendes Unternehmen.
Festhalten muss man aber, dass dieses Unternehmen seinen Sitz in Mountain View, Kalifornien hat, und wir in Europa oder Deutschland auf dessen Geschäftspolitik praktisch keinen Einfluss haben. Auch, wenn die deutsche Niederlassung der Rechtsprechung hierzulande unterliegt, werden die wichtigen Entscheidungen doch in Mountain View gefällt. Eine Kontrolle darüber, was die mit den Daten und Suchanfragen der europäischen Nutzer machen, ist ohnehin nicht möglich.
Die deutsche Wirtschaft ist Google weitgehend ausgeliefert. Es wird höchste Zeit, das zu ändern – damit aus einem fiktiven Cyberthriller nicht doch mal Realität wird …