Innovationsgipfel: IT alleine reicht nicht

Politik

Es gibt einige brilliante Forscher und viele gute Ideen. Doch wozu einzeln forschen und womöglich das Rad zweimal erfinden, wenn man die Aktivitäten auch bündeln und damit besser nutzen kann? Dafür sprach sich Peter Becker, Veranstalter des 5. Deutschen Innovationsgipfels und Geschäftsführer von innovation network, aus: »Unser Ziel sollte sein, voneinander zu lernen, um negative Erfahrungen zu vermeiden und Innovationen schneller auf den Weg zu bringen. « Die heutige Innovationslandschaft sei von »Innovationsinseln« geprägt. Diese sollten miteinander verknüpft werden, damit ein branchenübergreifendes Netzwerk entsteht: »Wir brauchen eine gemeinsame Plattform, einen Verband von Innovatoren!«

Viele Zukunftsszenarien
Ob ein neuer Verband die richtige Lösung ist, sei dahingestellt. Die Bündelung der Initiativen jedoch und ein interdisziplinärer Ansatz sind gewiss Schritte in die richtige Richtung. Das meint vor allem Keynote-Speaker Dr. Rafael Popper, Research Fellow am Manchester Institute of Innovation Research der University of Manchester, der den Innovationsgipfel vor rund 350 Besuchern eröffnete: »Wir haben nicht nur eine Zukunft vor uns, sondern viele. Sie alle bergen Chancen und Risiken. Wir sollten diese verschiedenen Szenarien miteinander verbinden und analysieren, um Forschungspotentiale aufzuspüren. «

Innovationen wie auf einem Radar aufspüren
Genau das hat der charismatische Ökonomieprofesser und Zukunftsforscher gemacht, als er den »Innovation Radar« entwickelte, dessen erste Ergebnisse er jetzt in München vorstellte. Im Auftrag der EU-Kommission eruierte Popper Anzeichen künftiger Entwicklungen und Innovationen, die auf dem politischen Radar unentdeckt bleiben, aber Auswirkungen auf unsere Zukunft haben werden. Herausgekommen sind Empfehlungen für Forschungsvorhaben und eine Internet-Plattform, die man als eine Art Forschungs-Wikipedia bezeichnen könnte – die Community iknow.

Webplattform »iKnow«
Über diese neue Plattform tauschen Menschen auf der ganzen Welt Signale und Ideen für die Zukunft aus – so, wie sie das heute über Twitter und soziale Netzwerke tun. Die Web-Plattform »iKnow« läuft seit drei Jahren und ist offen zugänglich. Darin kombinieren Dr. Popper und seine Mitarbeiter netzbasiertes Crowdsourcing mit Experten-Interviews, Workshops und Meinungsumfragen. Diese Daten werden anschließend ausgewertet, kategorisiert und aufbereitet. Das Themenspektrum ist breit – beleuchtet werden neue Technologien, Strategien, Produkte, Dienstleistungen und Trends.

Anders denken
»Wir können unsere Zukunft auf viele verschiedenen Arten formen«, sagt Dr. Popper, der die Systematisierung dessen schematisch in einer Puzzle-Grafik visualisiert. »Wir müssen die Menschen dazu ermutigen, anders zu denken«, sagt der Wissenschaftler mit Nachdruck – und zeigt eine Landkarte, die auf dem Kopf steht. Im Prinzip gehe es darum, Bekanntes und neue Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und vielschichtigere Lösungen als bisher zu finden.

Die »German Angst« überwinden
Dieser Veränderungsprozess scheint vor allem in Deutschland schwierig zu sein. »Deutsche User sind im allgemeinen eher zögerlich und ängstlich«, weiß Jan Geldermann, Geschäftsführer der Vodafone D2 GmbH, der auf den Wikipedia-Eintrag und die Begrifflichkeit »German Angst« verweist. Die Angst steigere sich zu Misstrauen, wenn die IT ins Spiel kommt, so wie beim Cloud Computing. Bis die Erkenntnis durchdringt, dass es von großem Vorteil ist, mit seinem mobilen Device von überall auf der Welt aus seine Daten verwalten zu können, vergehe gerade in Deutschland mehr Zeit als woanders. Doch wenn es dann einmal soweit ist, schlägt das Pendel direkt zur Begeisterung um, und es werde nach dem Motto »Always on« gelebt.

IT Top, Politik ein Flop
Ein weiteres Hindernis bei der Umsetzung von Innovationen sind fehlende, zentrale Ansprechpartner auf Regierungsebene, die eine Entwicklung vorantreiben könnten. Alexander Holst von accenture hat diese Erfahrung im Projekt »Intelligent City« gemacht. »In Deutschland hapert es nicht an der Technologie, sondern an der Governance. Wenn Sie einen Ansprechpartner gefunden haben, der Ihre Idee unterstützt, dann muss dieser schon einen sehr langen Atem haben, um alle Instanzen zu durchlaufen«, so der Technologie-Berater, der in Singapur erfolgreich ein Smart Grid eingeführt hat.

Mit Hilfe dieses intelligenten Stromnetzes können verschiedene Systeme miteinander verknüpft werden, die erstmal eigentlich nichts miteinander zu tun haben, im Zusammenspiel jedoch helfen, Energie zu sparen: In Singapur wurde das Taxi-Steuerungssystem mit der Wettervorhersage verbunden. Seitdem wissen Taxi-Unternehmer genau, wo es wann in Singapur regnet und können dementsprechend ausreichend Taxen dorthin schicken. Die Taxi-Unternehmen sind besser ausgelastet, und die Bürger freuen sich, weil sie nicht länger im Regen stehen.

Fujitsu will Energiesparpotentiale messbar machen
Wofür in einem Prozess Energie eingesetzt wird und wieviel davon eingespart werden kann, will Fujitsu künftig genau aufzeigen. Der japanische Konzern, der für seine grünen Computer bekannt ist, entwickelte eine IT-Lösung, die im Sommer 2012 auf den Markt kommen soll. Dr. Bernd Kosch, Head of Environmental Technology bei Fujitsu, hat vor, damit die CO2-Bilanz von Unternehmen allgemein und speziell auch die CO2-Bilanz von IT-Lösungen genau quantifizieren und damit zu ihrer Reduktion beitragen zu können.

Praktisches Beispiel: RWE und Microsoft senken vollautomatisch die Heizkosten
RWE, einer der größten Stromanbieter Deutschlands, der großflächig in Offshore Windparks investiert, hat sich nicht nur die »Energiewende« auf die Fahnen geschrieben, sondern mit der neu gegründeten Tochtergesellschaft RWE Effizienz GmbH auch die »Energiewände«, wie Ingo Alphéus scherzhaft bemerkt. Der Vorsitzende der Geschäftsführung der noch jungen GmbH, deren Durchschnittsalter bei Mitte 30 und damit um 10 Jahre unter dem des Mutterkonzerns liegt, verfolgt die Idee des vollautomatisierten Smart Homes. Ein Weg dahin ist die Senkung der Heizkosten mit Hilfe eines vollautomatisierten Heizungssteuerungssystems, wie er es zusammen mit Microsoft entwickelt hat. Sobald der Bewohner das Haus verlässt, regelt das Thermostat die Temperatur herunter – und zwar vollautomatisch via GPS. Das Prinzip ist auch denkbar für Ferienhäuser, die aus der Ferne gesteuert werden könnten. »Energiesparen soll Spaß machen«, propagiert der agile Manager.

Erfindungen systematisch managen
Einen ganz praktischen Ansatz verfolgt Dr. Peter Delwing, Direktor Innovationen bei Villeroy & Boch. Man ist verblüfft, wie einfach das Erfinden sein kann: »Wir haben ganz systematische Herangehensweisen, um neue Innovationen hervorzubringen: Weglassen oder Multiplizieren.« Das klingt zuerst ganz simpel, doch bei näherer Betrachtung ist dieser Ansatz brilliant. Was bei dem familiengeführten Keramikproduzenten aus dem saarländischen Mettland gang und gäbe ist, kann auf jedes innovative Unternehmen angewendet werden. »Lassen Sie bei der Suppe das Wasser weg, dann haben Sie Trockensuppe«, nennt Dr. Delwing ein Beispiel aus der Lebensmittelbranche. Für die zweite Herangehensweise, das Multiplizieren, berichtet er von einer Villeroy & Boch-Innovation im sanitären Bereich, die Vervielfachung der Wasserzufuhr. Beim sogenannten »Triple flush« – das Wasser läuft an drei verschiedenen Stellen zu – ist die Wasserführung effizienter und das WC sauberer. Dabei wird sogar weniger Wasser verbraucht, denn die Spüldauer ist kürzer.

Die IT-Branche macht´s vor
Analogien lassen sich in der Automobilbranche finden – Dr. Delwing führt Automobilhersteller wie BMW an, die Autos mit 5-Gang-Getriebe, mit 6-Gang-Getriebe und so fort liefern. Vor allem die IT-Branche ist voll davon: Man denke nur an Microsoft und andere Software-Entwickler, die ihre vielzähligen Releases Punkt 2, 3, 4 usw. herausbringen. Echte Innvoationen sind diese Fortsetzungen freilich nicht. Aber jede Systematik in dem an sich schwer greifbaren Innovationsmanagement ist nur zu begrüßen.

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