Interview: »BI alleine reicht nicht mehr«
ITespresso: IBM hatte in der Vergangenheit sehr viel mit Infrastrukturen, Datenbanken, Reporting per Business Intelligence und Ähnlichem zu tun. Nun geht das Unternehmen einen neuen Weg. Wie kann man diesen »Business-Analytics«-Weg verstehen?
Scamperle: Lassen Sie uns den Zeitrahmen ein bisschen enger stecken: Bis 2007 hatte IBM mit Business Analytics klassisch noch nicht viel gemacht. Dann hat man sich entschlossen, auch in den Bereich »Business Intelligence« einzusteigen und hat Cognos akquiriert. Damals hatte man nur über die reine »Business Intelligence« gesprochen, doch mit Zukäufen wie SPSS ging man über zur »predictive analysis«, also zur erweiterten statistischen Datenanalyse und -Auswertung. Insgesamt haben wir in den letzten Jahren mehr als 14 Milliarden US-Dollar in die Akquisition von 25 Unternehmen, darunter auch Coremetrics und Netezza, investiert und damit unsere Business Analytics and Optimization Expertise – auch in den Industriebereichen – systematisch ausgebaut.
ITespresso: Ja, in den Industriebereich Immobilien investierte IBM im März etwa mit in die Gebäudemanagement-Lösung von Tririga. Hängt dies auch mit BAO zusammen oder ist dies wieder ein anderer Geschäftsbereich?
Scamperle: Das muss man ein bisschen größer fassen. Wir investieren einerseits in den Softwarebereich, zum anderen in so genannte Industrie-Solutions. Im Bereich BAO fließen diese Lösungen alle zusammen. Früher haben wird die »Industrie-Solutions « gemacht, etwa Vertrieb, Controlling oder IT. Heut erkennen wir, dass eine Industrie-orientierte Ausrichtung wichtiger ist. So unterscheidet sich etwa der Vertrieb einer Versicherung sehr stark von den Vertriebs-Anforderungen eines Pharma-Herstellers oder eines Autozulieferers. Diese Portfolios schließen wir zusammen und zeigen sie zum Beispiel in unseren Centern für Industrielösungen, etwa dem ASC in Berlin.
ITespresso: Das ist bislang noch nicht so bekannt. Erklären Sie.
Scamperle: Wir haben weltweit »Analytical Solutions Centers« gegründet. Das erste war in Berlin und zeigt Lösungen für verschiedene Industrien. Dort haben wir eine Vielzahl von Experten, die sehr industriespezifisch ausgerichtet sind. Wir haben zum Beispiel Spezialisten für Autozulieferer, Banking, Healthcare und viele andere Bereiche, und man kann dort Lösungen aus der richtigen Hard- und Software begutachten.
ITespresso: Sie »stricken« also die richtigen Softwareprodukte für eine Industriegruppe zusammen, sagen wir mal SPSS für die Auswertung in der Medizinindustrie?
Scamperle: Vereinfacht gesagt ist das richtig. Wir bieten eine Lösung mit Hardware-Infrastruktur, Middleware, Software und Implementierung, alles aus einer Hand für die verschiedenen Industrien. SPSS ist hier wichtig für die prediktive Analyse, Cognos für Reporting und Dashboarding, das heißt, das BI-Produkt agiert als User-Interface.
ITespresso: Sie sagen vereinfacht, die richtigen Softwarelösungen werden hier zur Gesamtlösung zusammengebaut. Gibt es da bereits APIs oder Schnittstellen, mit denen die höchst unterschiedlichen Programme Informationen austauschen können?
Scamperle: Wir haben eine sehr offene Datenstruktur- und Strategie und haben natürlich offene Schnittstellen. Wir integrieren uns natürlich gerne in bestehende Lösungen. Sie benötigen bei uns zum Beispiel nicht zwangsläufig Cognos als Frontend.
ITespresso: Wenn ich also schon eine BI-Lösung wie die OpenSource-Software von Jaspersoft nehme oder Daten über Talend integriere, kann mir IBM trotzdem noch eine Lösung bieten?
Scamperle: Das sage ich eher ungern… aber es geht.
ITespresso: Die Lösungen sind also offen für alles?
Scamperle: Ja, aber um die Branchenlösungen richtig zu modulieren, brauchen Sie auch den Industriekontext. Sie brauchen möglicherweise schon die Datenmodelle.
ITespresso: Das Zusammenstellen solcher Modelle bieten Sie sicher auch als Dienstleistung an.
Scamperle: Die haben wir zum Teil schon »out-of-the-box«, die müssen dann nur noch an den entsprechenden Kunden angepasst werden.
ITespresso: Da sind Sie schon gut auf viele Kunden eingestellt mit diesen »Fertiglösungen«. Aber die Beratung und das Anpassen sind sicher nicht billig.
Scamperle: Sie werden sehen: Die Firmen machen dies mit einem klaren Zeitplan für den ROI. Da reicht es heute nicht mehr zu sagen, es ist billiger. Mit den richtigen Spezialisten auf Augenhöhe zu sprechen ist wichtig – da bekommen Sie beim Kunden Kredibilität, um entsprechende Lösungen umzusetzen.
Das funktioniert, und deshalb haben wir auch eine Agenda 2015. Neben »Smarter Planet « ist darin eine der wichtigsten Strategien die Business Analytics. Wir machen jedes Jahr CIO-Studien, und darin kam heraus, dass mehr als 83 Prozent Business Analytics oder Business Intelligence als wichtigsten Punkt auf ihrer Agenda haben.Was wir heutzutage bei vielen Unternehmen sehen, sind unzählige Daten. Viele davon sind unstrukturiert und müssen ausgewertet werden: » Data is the new oil!«.
ITespresso: Wie strukturieren Sie diese Daten?
Scamperle: Wichtig ist, dass wir viele Kunden haben, die nicht nur auf riesige Mengen an Daten innerhalb des Unternehmes, sondern auch auf externe Datenquellen zugreifen müssen. Mit den richtigen Werkzeugen helfen wir, darauf schnell und richtig zu reagieren. Informationen zu Fragen wie »Wie greifen meine Produkte im Markt? Wie werden Sie angenommen?« finden Sie in Blogs oder Social Media Networks, alle semantisch unstrukturiert. Zur Auswertung der sozialen Netze haben wir zum Beispiel entsprechende Analyse-Tools. So sind wir sehr wohl in der Lage, aus diesen unstrukturierten Informationen strukturierte Ergebnisse herauszuziehen und das Ergebnis auf seinen Kern zu reduzieren.
ITespresso: Sie sagen damit, dass Sie jede Information in irgendeiner Struktur unabhängig von ihrem Speicherort in Realzeit analysieren und auswerten können?
Scamperle: Ja, Realtime –Auswertung ist etwa sehr wichtig im Gesundheitswesen. Zusammen mit dem Institute of Technology von der Universität von Ontario, Kanada hat IBM ein Frühwarnsystem entwickelt, das die Messdaten schwerkranker frühgeborener Babys auf minimalste Änderungen hin konstant auswertet und so frühzeitig drohende Infektionen erkennen lässt. Ein weiteres Beispiel ist ein Projekt an der Columbia University in den USA. Dort nutzen Forscher Streaming- und Analytics-Technologie von IBM um bei Schlaganfall-Patienten Hirnverletzungen zu diagnostizieren. Damit können Komplikationen bis zu 48 Stunden früher als mit traditionellen Methoden erkannt werden. Auch in Deutschland wird der Einsatz von Analytics-Technologie in der Medizin immer wichtiger.
ITespresso: Herr Scamperle, wir danken für das Gespräch